
Der BVB hat endlich mal wieder ein Ligaspiel gewonnen – und das eindrucksvoll. Das 6:0 über Union Berlin sorgt für Erleichterung: bei Trainer Niko Kovac und Geschäftsführer Lars Ricken. Letzterer will dafür sorgen, dass künftig geräuschloser gearbeitet wird.
Eines hätte Serhou Guirassy im Überschwang der Gefühle fast vergessen: sich einen der Spielbälle zu sichern. „Ich muss schauen, dass ich noch einen bekommen kann“, sagte der Torjäger von Borussia Dortmund, nachdem er an das in der Bundesliga nicht unübliche Ritual erinnert worden war: Ein Spieler, der drei Tore in einem Spiel erzielt hat, schnappt sich anschließend den Ball, lässt ihn von seinen Teamkollegen unterschreiben – und nimmt ihn als persönliche Trophäe mit nach Hause.
Was für einen dreimaligen Torschützen gilt, muss für jemanden, der viermal getroffen hat, allemal gelten. Dieses Kunststück war Guirassy gelungen. „Zum ersten Mal in der Bundesliga, zum ersten Mal in meiner Profi-Karriere – zum ersten Mal überhaupt“, wie der Guineer nach dem 6:0 (2:0) über Union Berlin erklärte. Natürlich sei das etwas Besonderes – allerdings war es auch für ihn nicht das Wichtigste an diesem Samstagabend. „Das war ein Spiel, das wir unbedingt gewinnen mussten – egal wie. Deshalb freue ich mich über meine vier Tore, doch es zählt der Sieg für die Mannschaft“, so Guirassy. Denn der macht dem BVB in der schwierigsten Phase inmitten einer brutal enttäuschenden Saison ein klein wenig Hoffnung.
Es wäre kaum auszudenken gewesen, was passiert wäre, hätten die Dortmunder erneut nicht gewonnen oder gar verloren. Sie waren erstmals in der laufenden Saison mit einer negativen Bilanz in eine Bundesligapartie gegangen. Schlechter hatte der Klub zu diesem Zeitpunkt seit zehn Jahren nicht mehr dagestanden. Würde es eine Tabelle nur für das Kalenderjahr 2025 geben: Der BVB wäre vor dem Anpfiff mit nur vier Punkten Letzter gewesen.
„Natürlich bin ich glücklich“
Entsprechend groß war der Druck, der auf dem Team und vor allem auf Niko Kovac lastete. Für ihn war es im dritten Versuch der erste Bundesligasieg als BVB-Trainer. „Es fühlt sich gut an, natürlich bin ich glücklich“, sagte er nach einem Spiel, dessen Happy End zunächst gar nicht absehbar gewesen war. Seiner Mannschaft waren die Auswirkungen der Krise deutlich anzumerken. „Wir waren zu langsam, zu ungenau, zu behäbig“, gab Kovac zu.
Es fehlte der Mut, ins Risiko zu gehen. Immer wieder brachen die Gastgeber ihre Angriffsversuche ab. Sie brauchten schon das Momentum, ein klein wenig Glück. Diesmal hatten sie es: Nachdem Unions Diogo Leite einen Schuss von Julian Ryerson ins eigene Tor abgefälscht hatte (25. Minute), löste sich die Blockade. Erst dann drehte Dortmund auf.
„Das 1:0 war der Brustlöser. Danach haben sich die Jungs wirklich in einen Rausch gespielt“, erklärte Kovac. Plötzlich lief der Ball, die schwarz-gelbe Kombinationsmaschinerie kam auf Temperatur – und die 81.000 Zuschauer auch. Die Dortmunder attackierten die Berliner früh, verzeichneten Ballgewinne in der gegnerischen Hälfte und spielten zielstrebig in den Strafraum. Sie machten das, was Kovac von ihnen in den knapp drei Wochen, in denen er mittlerweile in der Verantwortung ist, immer wieder gefordert hatte – was sie aber bis dahin nur selten umsetzen konnten: Sie flankten den Ball immer wieder in die gefährlichen Zonen. Vor allem Pascal Groß zeichnete sich dabei aus. Der Nationalspieler bereitete vier der sechs Tore vor.
Was redet der denn da?
Die Folge war spürbare Erleichterung auf vielen Ebenen: Beim Trainer, der sich bereits Kritik gefallen lassen musste, weil er sich in den vergangenen Tagen immer wieder schützend vor die Mannschaft gestellt hatte. Dabei hatte die doch in schöner Regelmäßigkeit all das, was er über ihre angeblich so hohe Qualität gesagt hatte, immer wieder Lügen gestraft. Die Fans hatten sich zuletzt gefragt: Was redet der denn da?
Kovac hatte sich in seinem Bestreben, Optimismus zu verbreiten, tatsächlich auf zunehmend dünneres Eis begeben. Er hatte Julian Brandt, den seit Wochen formschwachen Spielmacher, mit Florian Wirtz und Jamal Musiala verglichen. Er hatte Marcel Sabitzer und Groß in höchsten Tönen gelobt. Brandt fehlte am Samstag wegen muskulären Problemen, doch Sabitzer und vor allem Groß brachten Top-Leistungen. Da hätte man sehen können, dass er mit seiner Einschätzung tatsächlich „nicht so weit von der Wirklichkeit entfernt war“, so Kovac. Es hätten Kleinigkeiten gefehlt. Gerade noch rechtzeitig spielte die Mannschaft so, dass der Trainer mit seiner Einschätzung des Trainers möglicherweise wirklich noch recht behalten könnte: dass die Krise vor allem Kopfsache gewesen sei.
„Alle sind erleichtert“
Auch die Verantwortlichen des BVB werden dadurch ein wenig aus der Schlusslinie genommen. Vor allem in der Schlussphase, als Union regelrecht auseinandergenommen wurde, war immer wieder ein lachender Hans-Joachim Watzke auf der Tribüne zu sehen. Solche Bilder des zum Jahresende scheidenden Vereinspatrons hatte es ewig nicht mehr gegeben. Auch Lars Ricken, sein Teil-Nachfolger als Sportgeschäftsführer, lächelte wieder – genauso wie Sebastian Kehl, der Sportdirektor. „Alle sind erleichtert. Die Zuschauer waren lange nicht mehr so euphorisch und gelöst“, sagte Kehl.
Der BVB-Führung blieb durch den ersten Heimsieg in der Bundesliga seit dem 23. November eine Zerreißprobe erspart. Zudem gewinnt sie etwas Zeit, die schwierige strukturelle Neuordnung voranzutreiben. Vor allem Ricken bemüht sich, Profil zu gewinnen. So erklärte er die sogenannte Elefantenrunde für beendet – jenes Gremium, das die entscheidenden Fragen in Bezug auf den Sport klären soll. „Die wird es nicht mehr geben“, sagte er gegenüber Sky.
„Ganz normale Meeting-Struktur“
Bislang hatten Watzke, Berater Matthias Sammer, Kehl, Ricken sowie der mittlerweile beurlaubte Technische Direktor Sven Mislintat mindestens einmal im Monat strategische Gespräche geführt. In die „Elefantenrunde“ war viel hineininterpretiert worden – vor allem hatte sie immer wieder Anlass zu Spekulationen über das belastete Binnenverhältnis der Protagonisten gegeben.
„Aus der Elefantenrunde hat es mit Mislintat und Nuri Sahin (dem freigestellten Ex-Trainer, die Red.) letztlich ja auch zwei getroffen“, erklärte Ricken. Mittlerweile tausche er sich mit Kehl und Kovac täglich aus. „Da haben wir eine ganz normale Meeting-Struktur. Da braucht man diese Elefantenrunde nicht.“ Künftig, so die Botschaft, soll in Dortmund zielgerichteter – und vor allem geräuschloser gearbeitet werden.
In erster Linie muss jedoch eine nachhaltige Trendwende in der Bundesliga geschafft werden. Davon ist der BVB trotz Sieges über Union Berlin noch weit entfernt. „Wir haben einiges nachzuholen, deshalb hoffe ich, dass es in den nächsten Wochen so erfolgreich weitergeht“, sagte Kapitän Emre Can.