
TM-Interview, Teil 2

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Der VfB Stuttgart stand gefühlt mehrfach mit einem Bein in der 2. Bundesliga, ehe er in den vergangenen anderthalb Jahren an längst vergessene Erfolgszeiten anknüpfen konnte. Was dank guter Entscheidungen möglich ist, zeigen die Verantwortlichen um Vorstandschef Alexander Wehrle, Sport-Geschäftsführer Fabian Wohlgemuth und Cheftrainer Sebastian Hoeneß, die den Schwaben neues Leben einhauchten.
In Teil 2 des großen Transfermarkt-Interviews, das mit Fragen aus der Community gespickt ist, spricht Wehrle über das künftige Transferbudget, notwendige Ausstiegsklauseln, die Bedeutung von Angelo Stillers Verlängerung, Mängel in der Jugendarbeit und die Zukunft der Schwaben.
Teil 1 – VfB-Boss Wehrle über mutige Wahl Wohlgemuth & Hoeneß: „Was macht der da eigentlich?“
Transfermarkt: Mit Deniz Undav und Ermedin Demirovic gab es 2024 gleich zweimal einen Rekordtransfer. Gehen Sie davon aus, dass diese Bestmarke 2025 wieder geknackt wird?
Wehrle: Davon gehe ich Stand heute nicht aus. Das waren für den VfB zwei außergewöhnliche Transfers. Es war klar, welchen Stellenwert Deniz Undav für den Verein und das ganze Umfeld hat. Mit Serhou Guirassy hatte uns ein wichtiger Stürmer verlassen, weswegen wir alle Energie eingesetzt haben, um Deniz langfristig binden zu können. Ermedin Demirovic hat in Augsburg mit konstant guten Leistungen auf sich aufmerksam gemacht. Wir sind froh, dass Deniz und Medo das VfB-Trikot tragen. Dass man auch ablösefreie Spieler verpflichten kann, die sich zu Leistungsträgern entwickeln, zeigt das Beispiel Nick Woltemade. Es geht nicht um Rekordsummen. Wir müssen überzeugt sein, dass ein Spieler zu uns passt. Dann tun wir auch alles, um ihn zu bekommen.
Transfermarkt: „justalittlethought“ möchte wissen, welches Transferbudget der VfB im Sommer zur Verfügung hat? Und welche konkreten Auswirkungen hätte eine ausbleibende Europacup-Qualifikation?
Wehrle: Wir sind so aufgestellt, dass wir keine internationalen Einnahmen generieren müssen. Wenn wir on top Einnahmen aus der Champions League oder Europa League haben sollten, werden wir diese sicherlich wieder in die Mannschaft investieren. Aber immer so, dass wir uns auch Spielzeiten ohne internationale Teilnahme leisten können. Das ist unsere Maxime. Eine genaue Zahl möchte ich ungern nennen, das wäre ein Wettbewerbsnachteil, weil die Konkurrenz ja mitliest. (schmunzelt)
Transfermarkt: „justalittlethought“ fragt: Warum hat der VfB in der Vergangenheit so großflächig Ausstiegsklauseln bei seinen Spielern verteilt? Das wirkte mitunter schwer nachvollziehbar.
Zuletzt kam Jeltsch
Alle Transfers des VfB Stuttgart
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Wehrle: Ich kann nachvollziehen, wenn Fans wegen der Ausstiegsklauseln verwundert waren. Man muss aber berücksichtigen, dass wir damals in einer ganz anderen Situation waren. Wir standen vor der Wahl, Verträge mit einer Restlaufzeit von 18 Monaten zu verlängern oder mit dem wirtschaftlichen Risiko eines ablösefreien Abgangs in ein letztes Vertragsjahr gehen. Ohne Ausstiegsklausel wäre eine Vertragsverlängerung in vielen Fällen nicht umsetzbar gewesen. Und zum Zeitpunkt der Vertragsabschlüsse konnten wir zudem in den meisten Fällen eine Ausstiegsklausel festsetzen, die höher war als der damalige Marktwert der Spieler.

Wehrle über Marktwerte: Korrelation zu tatsächlichen Ablösesummen sichtbar
Transfermarkt: Orientieren Sie sich bei den Marktwerten auch an den Summen bei TM?
Wehrle: Von Zeit zu Zeit schaut man auf die Zahlen. Es zeigt sich, dass es eine gewisse Korrelation zu den tatsächlichen Ablösesummen gibt. Unabhängig davon befinden wir uns jetzt glücklicherweise in der Situation, in der wir ohne Ausstiegsklausel mit deutschen Nationalspielern verlängern können.
Transfermarkt: Womit wir bei Angelo Stiller landen, der bis 2028 gebunden wurde und zum Top-Verdiener aufstieg. Über die Existenz einer Ausstiegsklausel gab es widersprüchliche Meldungen. Jamie Leweling hat im Dezember sogar bis 2029 verlängert, laut „Sky“ mit einer Änderung der vorhandenen Klausel. Klären Sie uns bitte auf.
Wehrle: Ich habe gesagt, dass wir mit einigen Nationalspielern ohne Ausstiegsklausel verlängert haben. Mehr muss ich dazu nicht sagen. Angelo ist ein ganz wichtiger Schlüsselspieler für den VfB, er hat sich unter Sebastian Hoeneß fantastisch entwickelt und ihm gehört auch in der Nationalmannschaft die Zukunft. Es war wichtig, mit der Verlängerung ein Signal nach innen und nach außen zu senden. Und Angelo hat sich diesen neuen Vertrag verdient.
Kimmich, Gnbary & Co.
Die Jugendarbeit des VfB
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Transfermarkt: „justalittlethought“ fragt: Vor rund 20 Jahren drängten die „jungen Wilden“ Sami Khedira, Mario Gómez, Christian Gentner und Andreas Beck ins Profiteam. Seitdem wurde von VfB-Verantwortlichen immer wieder betont, dass der eigene Nachwuchs für den Herrenbereich gefördert werden soll. Der hochgelobte 2005er-Jahrgang scheint bis auf Torwart Dennis Seimen ausgebremst. Wann schaffen es endlich wieder Eigengewächse regelmäßig in den Profikader?
Wehrle: Es gehört zur DNA des VfB, junge Spieler aus der eigenen Jugend in den Lizenzspielerkader zu integrieren. In den letzten Jahren ist es uns nicht ausreichend gelungen, solche Stamm- und Schlüsselspieler zu entwickeln. Wir haben ein paar Änderungen im NLZ vollzogen, was Scouting und Kaderplanung zwischen der U17 und U21 angeht. Mit Tobias Werner haben wir jemanden dazugeholt, der sich ganzheitlicher um die Top-Talente kümmert und ein wichtiges Bindeglied zu Christian Gentner und dem Trainerteam der Profis ist. Der Vorstand bekommt fast täglich Updates, es gibt einen ganz engen Austausch. Wir haben einige Talente – ohne Namen zu nennen –, die in naher Zukunft wichtige Spieler werden können. Das muss auch unser Ziel sein. Erste Ansätze waren bereits da, aber wir wollen natürlich am liebsten mehrere Spieler aus dem eigenen Nachwuchs im Kader haben, die regelmäßig in der MHP Arena spielen.
Transfermarkt: „justalittlethought“ fragt: Laurin Ulrich hat als einziger VfB-Jugendspieler nach Joshua Kimmich, Timo Werner und Jordan Meyer die Fritz-Walter-Medaille seit 2014 gewonnen, sein Vertrag endet 2026. Welche Perspektive hat er in Stuttgart? Und warum hat der Übergang bei ihm länger gedauert als bei Tom Bischof in Hoffenheim?
Wehrle: Laurin hat nach wie vor eine große Perspektive, wurde aber in den letzten Jahren von Krankheiten und Verletzungen ausgebremst. Wir haben ihn im Winter aus Ulm zurückgeholt, um ihm in unserer U21 in der 3. Liga Spielpraxis zu geben. Dort hat er zuletzt gute Leistungen gezeigt und wichtige Tore geschossen.
Wehrle: VfB Stuttgart ist dabei, internationale Zielmärkte zu erschließen
Transfermarkt: Weitere Frage von „TF1893“: Wie steht der VfB im Vergleich zu anderen Bundesliga-Klubs hinsichtlich der Reichweite, Merchandising-Einnahmen und Medienpräsenz international da?
Wehrle: Tradition und Erfolg haben den VfB über Jahrzehnte hinweg geprägt. Aber von der Geschichte allein kann man sich nichts kaufen. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns perspektivisch weiterentwickeln. Wir haben wirtschaftliche Stabilität und sportliche Substanz als Grundvoraussetzung, viele Spiele in der MHP Arena sind ausverkauft, bei der TV-Reichweite sind wir immer unter den Top-Vereinen. Jetzt haben wir auch wieder neu begonnen, internationale Zielmärkte zu erschließen. Man darf nicht vergessen, dass es bei meinem Einstieg 2022 keine Stelle für Internationalisierung gab. In den vergangenen zweieinhalb Jahren haben wir viel aufgebaut, waren in den USA und in Japan. Die Fußballschule ist sehr viel unterwegs. Wir haben mittlerweile deutliche siebenstellige Erträge im internationalen Segment. Das ist noch ausbaufähig und wir befinden uns auf einem guten Weg.
Transfermarkt: Bayern-Boss Jan-Christian Dreesen ließ auf dem „SPOBIS“ durchblicken, dass es aus seiner Sicht unmöglich sei, konkrete Pläne für mehrere Jahre zu entwerfen. Wie handhaben Sie das?
Wehrle: Wir arbeiten in Dreijahreszyklen, was die mittelfristige finanzielle Planung angeht, und bei der Strategie in Vierjahreszyklen. Wir haben 2022 eine Strategie für 2026 entwickelt und nutzen die Management-Methode OKR (Objectives and Key Results; d. Red.) für alle Fokusthemen, damit unsere Organisation Orientierung hat und jeder weiß, wo wir hinwollen und was unsere Schwerpunktthemen sind. Wohin wir uns vor allem mit Blick auf Investitionen bewegen wollen. Das gehört für mich zu einer strategischen Ausrichtung einer jeden Organisation – auch im Fußballbereich.
Transfermarkt: Der VfB rauschte rasant von unten nach oben. Was ist das maximal Mögliche für den Klub?
Wehrle: Vereine wie Bayern München, Borussia Dortmund, RB Leipzig und Bayer Leverkusen sind vom Umsatz und den vorhandenen Investitionsmöglichkeiten her weit vor uns. Diese Lücke zu schließen, wird Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte dauern. So realistisch muss man einfach sein. Und dennoch kann es durch kluges Kadermanagement und kluge Transferpolitik mit den richtigen handelnden Personen gelingen, im einen oder anderen Jahr für Überraschungen zu sorgen. Unser vorrangiges Ziel ist es, den VfB so aufzustellen, dass er ein stabiler Bundesligist ist, der sich perspektivisch auch immer mal wieder für einen europäischen Wettbewerb qualifizieren kann. Wir sind nicht so weit, dass wir die Topteams angreifen und um die Meisterschaft mitspielen können. Aber wir haben sehr gute Möglichkeiten, uns zu entwickeln und weiterhin zu wachsen.
Ich habe für die Interessens- und die Nachwuchssäule argumentiert und gekämpft.
Transfermarkt: Zu guter Letzt eine Frage von „Santiago15“: Wie hat sich der VfB in den jüngsten Gesprächen rund um die Verteilung der TV-Gelder positioniert?
Wehrle: Als Vertreter eines reichweitenstarken Traditionsklubs finde ich, dass der Solidaritätsgedanke für die Liga spricht – über 50 Prozent werden solidarisch verteilt. Dennoch habe ich mich schon in den vergangenen Jahren danach als DFL-Präsidiumsmitglied dafür eingesetzt, dass die Reichweiten mehr berücksichtigt werden. Ich habe für die Interessens- und die Nachwuchssäule argumentiert und gekämpft. Und ich halte es für eine richtige Entscheidung des aktuellen DFL-Präsidiums, dass man nun die drei Prozent, die aus der bisherigen Interessenssäule ausgeschüttet wird, ein Stück verändert hat, indem die Kriterien Mitgliederstärke und Reichweite ergänzt werden. Und es wäre auch einen Gedanken wert, diese drei Prozent bei der nächsten Rechteperiode zu erhöhen.
Interview: Philipp Marquardt