Der FC St. Pauli und die Sache mit den 101 Prozent

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Floskeln, Phrasen, Metaphern – im Fußball gibt es Tausende, die vor allem dann bemüht werden, wenn es nicht läuft. Oftmals schwingt Verzweiflung mit, nicht selten sind es überdies schiefe Bilder, die da gezeichnet werden: Wer frisst schon Gras oder nimmt ein Ruder mit auf den Platz, um es dann herumzureißen? Beim FC St. Pauli wollen sie nach vier sieglosen Spielen in Folge am Samstag gegen Borussia Dortmund 101 Prozent geben, um im Bundesliga-Abstiegskampf die Trendwende herbeizuführen.

FC St. Pauli offensiv verbessert, aber nicht gut genug

Seit 340 Minuten warten die Hamburger auf einen Torerfolg, haben in 21 Partien insgesamt erst 18 Mal getroffen und stellen den schwächsten Angriff der Liga. Beim 0:2 zuletzt in Mainz war die Leistung gerade in der ersten Halbzeit zwar überzeugend, die Chancenverwertung aber erneut nicht Bundesliga-tauglich. Dass der Aufsteiger knapp 20 Torschüsse abgeben muss, bis der Ball im Netz zappelt, ligaweit aber am seltensten zum Abschluss kommt, wird inzwischen zum Problem. Denn, in der Defensive reihten sich zuletzt die Aussetzer aneinander – in Mainz patzte Keeper Nikola Vasilj.

Die Kiezkicker haben ihre noch vor einigen Wochen komfortable Ausgangssituation im Kampf um den Klassenerhalt verspielt. Die Konkurrenz befindet sich derweil im Aufwind: Die TSG Hoffenheim hat die Hamburger auf Tabellenplatz 15 verdrängt. Der 1. FC Heidenheim auf dem Relegationsrang hat nur noch sechs Punkte Rückstand. Und wenn der VfL Bochum am Freitag zwei Zähler nach dem Berufungsverfahren in der Causa „Feuerzeugwurf“ zugesprochen bekommt und den ersten Abstiegsplatz verlässt, sind es lediglich vier Punkte. Nur Schlusslicht Holstein Kiel ist abgeschlagen. 

Im Westen ein Wunder, im Norden eine Tragödie?

Was die Situation aus Hamburger Sicht bedrohlich macht: Heidenheim ist aus der Conference League ausgeschieden, hat keine Doppelbelastung mehr und kann sich jetzt allein auf den Klassenerhalt konzentrieren. Der VfL Bochum schien zur Winterpause als erster Absteiger festzustehen, hat aber eine beeindruckende Aufholjagd gestartet und zuletzt fünf Punkte aus vier Spielen geholt. Tief im Westen, wo am Samstag die TSG Hoffenheim zu Gast ist, scheint sich ein Fußball-Wunder anzubahnen.

Hoch im Norden könnte sich derweil eine Tragödie wiederholen: In der Saison 2011/12 lagen die Kiezkicker nach dem 21. Spieltag auf Rang zwölf, sammelten nach dem 1:0-Derbysieg über den HSV aber nur noch mickrige vier Punkte und stiegen am Ende ab.

FC St. Pauli fehlen überall ein paar Prozent

Positiv immerhin: Fortschritte in der Offensive waren in Mainz erkennbar. Dass dennoch kein eigener Treffer gelang, führte Trainer Alexander Blessin auch auf fehlendes Spielglück zurück und verwies in dem Zusammenhang auf den Pfostenschuss von Noah Weißhaupt. Fakt ist jedoch auch: überall fehlen ein paar Prozent. Das ist St. Paulis Coach nicht verborgen geblieben. Und so verlangt nicht nur der 51-Jährige, man müsse nun 101 Prozent geben.

Es braucht kein Mathematik-Studium, um zu wissen: Das ist unmöglich! Sich zunehmend metaphorisch auszudrücken oder Phrasen zu bemühen, zeigt indirekt, wie angespannt die Situation am Millerntor ist. „101 Prozent“ zu geben, bedeutet nichts weniger, als etwas Außergewöhnliches zu tun, um sein Ziel zu erreichen. Bislang war in Hamburg davon die Rede gewesen, man könne mithalten und werde die nötigen Punkte für den Klassenerhalt über beharrliche Arbeit holen.

Nun aber müsse man das Glück erzwingen, wie nach dem Spiel in Mainz immer wieder betont wurde. Vieles klang nach Durchhalteparolen – das ist ein schlechtes Zeichen, weil darin Verzweiflung mitschwingt. Jetzt, da St. Pauli erstmals in dieser Saison unter Druck steht, braucht es das Gegenteil: Überzeugung, vor allem im Angriff.

Borussia Dortmund äußerst wankelmütig

Vielleicht kommt Borussia Dortmund (10.) am Samstag als Gegner zum passenden Zeitpunkt. Die in dieser Saison äußerst wankelmütigen Schwarz-Gelben haben sich bereits gegen Holstein Kiel (2:4) und den VfL Bochum (0:2) eine Blöße gegeben.

Zuletzt war zwar Union Berlin mit 6:0 vom Platz gefegt worden und einige Tage zuvor in der Champions League die Qualifikation für das Achtelfinale perfekt gemacht worden. Nach dem 0:0 im Europapokal gegen Sporting Lissabon aber hatte Kapitän Emre Can erklärt: „Wir haben nicht mehr gemacht als nötig.“ Die auswärts erst zweimal siegreiche Borussia versucht es also bisweilen auch mit weniger als 100 Prozent. Vielleicht ja auch am Samstag. Dann stehen die Chancen für den FC St. Pauli gut, das Ruder ….



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