
Die Bundesliga-Krise des BVB hat sich aus Sicht vieler Fans lange angedeutet. Mentalcoach Matthias Herzog übt deutliche Kritik an der Klubführung.
Dortmund – Borussia Dortmund erlebt eine schwere Krise. Angesichts des Rückstands auf die Ränge, die am Ende der Spielzeit zur Teilnahme an der Champions League berechtigen, ist die Saison in der Bundesliga bisher eine Vollkatastrophe. Nur absolute Optimisten glauben an eine Wende unter Niko Kovač.
Der Chefcoach hat aus seinen ersten vier Pflichtspielen nur einen Sieg geholt, zwei Niederlagen in der Bundesliga bedeuteten sogar einen Fehlstart von historischem Ausmaß. Mit der Verpflichtung des Kroaten ging das Eingeständnis der Klubführung einher, die Situation um den Trainer-Neuling Nuri Şahin vor Saisonbeginn falsch eingeschätzt zu haben.
„Wer beim BVB nach den Schuldigen sucht, muss ganz oben anfangen“
Bei Experten und vor allem vielen Fans des BVB geht der Blick längst nicht mehr bloß auf die Männer an der Seitenlinie: Die Arbeit auf der Chefetage in Dortmund wird immer kritischer beäugt. Völlig zurecht, erklärt Sportpsychologe Matthias Herzog im Interview mit fussball.news, dem Fußballportal von IPPEN.MEDIA.

„Die Probleme sind nicht neu – aber sie werden von Jahr zu Jahr größer. Wer beim BVB nach den Schuldigen sucht, muss ganz oben anfangen“, wird Mentaltrainer Herzog deutlich. „Der Fisch stinkt vom Kopf: Watzke, Ricken, Kehl, Sammer – die Dortmunder Chefetage wirkt wie ein Gockelstall. Jeder hält sich für den Wichtigsten, aber keiner übernimmt echte Verantwortung.“
Kritik an BVB-Bossen: „Immer wieder interne Machtspielchen“
In den letzten Monaten hatten wiederholt Interna den Weg in die Öffentlichkeit gefunden, vor allem zwischen Sportdirektor Sebastian Kehl und dem Technischen Direktor Sven Mislintat gab es eine Art medial ausgefochtenen Machtkampf. Sportchef Lars Ricken beendete ihn für den Moment mit der Demission von Mislintat.
Der BVB habe dennoch ein denkbar schlechtes Bild abgegeben, kritisiert Herzog. „Statt als Einheit voranzugehen, gibt es immer wieder interne Machtspielchen. Wer Führung von seinem Team erwartet, muss sie selbst vorleben.“ Dass sich die Unruhe auf den Fluren der Geschäftsstelle nach und nach auch zur Mannschaft durchschlägt, ist eine naheliegende Vermutung.
Matthias Herzog
Matthias Herzog (48), anerkannter Sportpsychologe und Mentaltrainer, ist Vortragsredner und Experte für Mental Health und Performance-Psychologie.
Der Vater von drei Töchtern arbeitet unter anderem mit Deutschen Meistern, Europameistern, Weltmeistern und Olympiasiegern sowie Nationalmannschaften, Unternehmern und Geschäftsführern.
Mit der Verpflichtung von Kovač wollte der BVB dabei einen Akzent in Sachen Teamführung setzen. Der Kroate ist für eine durchaus harte Hand im Umgang mit seinen Profis bekannt. In Dortmund ist davon aber noch wenig zu spüren. Auch Herzog erkennt bislang die Fortführung eines „Kuschelkurses“, Dortmund sei für Spieler „schon lange ein Wohlfühlparadies“.
Wofür will der BVB fußballerisch stehen?
Da reihe sich Kovač bisher nahtlos ein. Nach der blamablen 0:2-Niederlage im kleinen Revierderby beim VfL Bochum hatte sich kein BVB-Spieler für Gespräche mit Printmedien zur Verfügung gestellt, der Chefcoach rechtfertigte dies mit einem Hinweis auf die Regeneration der Spieler. „Regenerieren wovon? Vom Versagen?“, fragt Herzog rhetorisch. Beim BVB stellen sich seiner Expertise zufolge die Trainer zu oft vor die gut bezahlten Stars, „anstatt ihnen mal klarzumachen, dass Profifußball kein Streichelzoo ist!“.
Klare Linien fehlen aber auch aus sportlicher Sicht. Die ständigen Trainerwechsel hinterlassen Chaos, wo Orientierung wichtig wäre. Es sei „völlig unklar, was überhaupt Dortmunds Spielstil sein soll“, erklärt Herzog. „Ballbesitz? Umschaltspiel? Pressing? Keiner weiß es – und das Team selbst offenbar auch nicht.“ Dementsprechend fallen auch die Leistungen aus, jedenfalls im Bundesliga-Alltag. In der Champions League rafft sich der BVB bisher noch meist zu ordentlichen Darbietungen und Ergebnissen auf.
Sportpsychologe Herzog sieht den BVB „am Scheideweg“
Das Problem: Sofern Dortmund nicht sensationell die aktuelle Königsklasse gewinnt, muss der Verein den wichtigsten und lukrativsten Klubwettbewerb der Welt mit hoher Wahrscheinlichkeit kommende Saison im Fernsehen verfolgen. Oder sogar länger? Herzog sieht den BVB „am Scheideweg“.
„So geht es nicht weiter – es sei denn, man gibt sich mit Mittelmaß zufrieden. Es braucht echte Leader auf dem Platz. Es braucht ein klares System. Und es braucht endlich die Bereitschaft, auch mal den Finger in die Wunde zu legen“, fordert der Mentalcoach und spricht eine Warnung aus: „Sonst bleibt Dortmund das, was sie seit Jahren sind – ein Klub mit riesigem Potenzial, der es viel zu selten abruft.“