
Ex-Zweitliga-Kultprofi im Interview

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Marcus Feinbier gewann 1988 als Teenager mit Bayer 04 Leverkusen den UEFA-Cup, einen Namen machte er sich danach aber vor allem als einer der Kultspieler in der 2. Bundesliga. In insgesamt 274 Partien im deutschen Fußball-Unterhaus für sechs verschiedene Vereine erzielte der frühere Mittelstürmer 90 Treffer. Bei Transfermarkt blickt er auf seine bewegte Karriere zurück.
Marcus Feinbier kann nicht verhehlen, dass jedes Mal, wenn er sich mit seinen ehemaligen Mitspielern aus UEFA-Cup-Sieger-Kader trifft, viele Emotionen hochkommen. Nicht nur, weil er damals mit gerade einmal 18 Jahren den Titel gewann, sondern auch, weil er noch in der Pubertät steckte und am Anfang seiner Karriere stand.
„Ich konnte damals vieles nicht realisieren, weil es so surreal für mich war. Gestern war ich noch A-Jugendspieler und gefühlt einen Tag später durfte ich mich UEFA-Cup-Sieger nennen. Die Finalpartien gegen Espanyol Barcelona sind mir natürlich prägend in Erinnerung geblieben. Im Hinspiel herrschte in Barcelona eine explosive Stimmung, auch deshalb haben wir 0:3 verloren. Aber was wir im Rückspiel abgeliefert haben, war phänomenal. Keiner hat an uns geglaubt, außer wir selbst“, erinnert er sich.
Knapp zwei Jahre zuvor war er mit gerade einmal 16 Jahren aus Berlin von Hertha Zehlendorf nach Leverkusen gewechselt. „Heute ist es Normalität, wenn ein Spieler mit 16, 17, 18 Jahren debütiert. Damals glich das einer großen Schlagzeile. Deshalb bin ich noch heute Erich Ribbeck zu großem Dank verpflichtet, der mir entgegen dem Trend die Chance gegeben hat. Auch der damalige Kapitän Wolfgang Rolff hat sich sehr um mich gekümmert und mich unter seine Fittiche genommen. Ich weiß noch, dass ich am Anfang vor den Spielen mit ihm auf einem Zimmer war, er mir die ganzen Abläufe erklärt und mich am Ende des Tages auch das Fernsehprogramm aussuchen lassen hat“, so der heute 55-Jährige schmunzelnd.
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Auch über den ehemaligen Leverkusen-Manager Reiner Calmund äußert er sich lobend. „Unter Calmund habe ich meinen ersten Profivertrag unterschrieben. Ich habe damals einen Grundvertrag mit 4000 DM unterzeichnet. Von dem Gehalt habe ich mir erstmal eine Musikanlage gekauft. Calli hat für die Spieler alles gemacht. Er hat sich um Wohnungen gekümmert, er hat uns Autos besorgt. Calli war in Leverkusen und Umgebung ein absoluter Star. Ich weiß noch, wie wir das erste Mal zusammen essen gegangen sind. Wir sind zu einem Steakhouse nach Köln gefahren. Statt durch die Vordertür, sind wir durch den Hintereingang reingegangen, haben direkt einen Platz bekommen und drei Kellner haben sich um uns gekümmert. In dem Augenblick dachte ich einfach nur: ‚Wow, Calli hat es geschafft, der ist ganz oben angekommen‘“, erzählt Feinbier mit einem Lachen.
Feinbier über lästigsten Gegenspieler & verpassten Durchbruch bei Bayer
Lachen muss er auch bei der Frage nach dem unangenehmsten Gegenspieler. „Das waren mit Abstand Jürgen Kohler und Ansgar Brinkmann. Kohler habe ich im Derby auf unsanfte Weise kennengelernt. Direkt nach meiner Einwechslung hat er mir einen Schlag auf den Brustkorb verpasst, ich hatte danach erstmal Probleme zu atmen. Er hat mit vollem Körpereinsatz gespielt. Tatsächlich war ich am Ende froh, als der Schiri das Spiel abgepfiffen hat. Und Brinkmann beherrschte fast jeden Trick. Was mich genervt hat, war das höhnische Lachen, wenn er an einem vorbeigezogen ist.“
Insgesamt 82 Partien absolvierte der ehemalige Angreifer für die Werkself. Doch der Durchbruch sollte ihm aufgrund seiner mageren Quote von nur drei Toren verwehrt bleiben. Eines davon gelang ihm gegen den FC Bayern. „Ich muss ehrlich sagen, ich war zu dem Zeitpunkt zu verwöhnt. Ich hatte zwar die Fähigkeiten für die Bundesliga, aber ich dachte, mir fällt alles zu. Das war am Ende natürlich nicht so. Aber das Tor gegen Bayern München war natürlich ein absolutes Highlight in meiner Karriere. Ich weiß noch, mein Jubel hat es in den Jahreskalender vom Kicker geschafft.“

Feinbier zieht weiter – Pagelsdorf wollte Ex-Stürner zum HSV holen
Um den Durchbruch im Profifußball zu schaffen, wechselte er zurück in seine Berliner Heimat zu Hertha BSC. Erfolgreich sollte dieses Engagement jedoch nicht werden, auch weil er im Schatten von Theo Gries und Sven Demandt stand. „Der Wechsel zu Hertha ist aus mehreren Gründen entstanden. Zum einen wollte ich zurück zu meiner Familie und zum anderen hatte Hertha den Anspruch oben mitzuspielen. Ich bin damals als Hoffnungsträger gewechselt, musste aber ganz schnell feststellen, dass der damalige Trainer Günter Sebert nicht auf mich setzt. Während ich in Leverkusen von den Medien gefeiert wurde, habe ich in Berlin erlebt, was negative Berichterstattung ist. Die Medien haben sich quasi den Kuli heiß geschrieben. Ich wusste als junger Spieler nicht wirklich, wie ich damit umgehen sollte und bin teilweise mit Bauchschmerzen ins Spiel gegangen. Dieses Jahr hat mich menschlich extrem geprägt und ich habe viel über den Fußball lernen dürfen“, schildert Feinbier.
Nach nur einem Jahr zog er weiter zum Wuppertaler SV, bei dem er eine weitere unglückliche Saison erlebte und aus der 2. Bundesliga abstieg. Einen Ausweg fand Feinbier danach bei Alemannia Aachen. „Während meiner Zeit in Wuppertal habe ich mir mehrfach das Schlüsselbein gebrochen und war somit Monate raus. Der damalige Alemannia-Trainer Gerd Vom Bruch hat sich dennoch sehr um mich bemüht. Ich war durch meine Erfahrungen auch gereift. Ich wusste, wenn ich es hier nicht packe, kann ich meine Karriere beenden. Fortan habe ich noch härter trainiert und mich auch nie zufriedengegeben.“ Mit Erfolg: Feinbier verbuchte für Aachen 39 Treffer in 62 Partien.
Diese Fähigkeiten machte sich in der Folge auch Wattenscheid 09 zu Nutze – eine Verbindung, die sofort Früchte trug. Mit 14 Toren in der Rückrunde der Saison 1996/97 war Feinbier maßgeblich daran beteiligt, dass der Klub in die 2. Bundesliga zurückkehrte. „Wattenscheid hatte mit Klaus Steilmann einen Präsidenten, der sich sehr um seinen Verein gekümmert hat. Die Bedingungen waren zur damaligen Zeit bundesligareif. Mit Franz-Josef Tenhagen und Hannes Bongartz waren zudem zwei Fußball-Legenden in den verantwortlichen Positionen, die den Verein auch geprägt haben. Für mich hatte der Klub Charme und Charisma“, blickt Feinbier zurück und erinnert sich an ein Angebot aus der Bundesliga. „Frank Pagelsdorf war bei mir zu Hause und wollte mich unbedingt zum HSV holen. Wattenscheid hat damals aber die utopische Summe von 3 Millionen DM als Ablöse aufgerufen. Damit war der Transfer vom Tisch.“
Gerne denkt der Ex-Profi auch an den Bratwurstduft an Spieltagen in Wattenscheid zurück. „Der Ruf, dass es auf der Lohrheide die deutschlandweit beste Stadionbratwurst gab, kam nicht von ungefähr. Wir Spieler haben uns die gerne nach dem Spiel gegönnt. Auch brauchte ich als Berliner natürlich einmal die Woche meine Currywurst. Ansonsten habe ich mich sehr pflichtbewusst ernährt und entsprechend auf ungesunde Nahrung verzichtet.“
Feinbier über Station bei LR Ahlen: Dort konnte man „gutes Geld verdienen“
Nach zwei Jahren in Wattenscheid zog Feinbier erneut weiter. Es folgte eine eher erfolglose und daher kurze Station beim 1. FC Nürnberg, ehe er 2000 zum damaligen LR Ahlen wechselte – jenem Klub, der vom Kosmetik-Unternehmer Helmut Spikker als Mäzen unterstützt wurde. Ursprünglich hatte Spikker im Jahr 1992 den finanziell angeschlagenen TuS Ahlen übernommen, der später zusammen mit Blau-Weiß Ahlen zum LR Ahlen fusionierte. Zwar stand das LR im Vereinsnamen für Leichtathletik Rasensport, war aber auch eine Anlehnung an das Unternehmen des Geldgebers, die „LR International“, die auch als Hauptsponsor des Vereins fungierte.
In Ahlen erlebte Feinbier rein von den Toren die erfolgreichste Zeit seiner Karriere: 43 Treffer markierte er in 90 Partien. „Zu Weihnachten gab es immer für die Frauen LR-Produkte, auch wir konnten immer auf die Produkte zurückgreifen. Jeder wusste, wenn man nach Ahlen wechselt, dann nicht wegen der schönen Innenstadt, sondern weil man gutes Geld verdienen konnte. Solche Anfeindungen, denen die Spieler von Leipzig oder Hoffenheim heute ausgesetzt sind, gab es bei uns nicht. Es hieß dann eher: ‚Ach guck an, da kommen die Millionäre aus Ahlen.‘ Wir hatten mit Peter Neururer zwischenzeitlich auch einen Top-Trainer. Dank seiner Führung haben wir zeitweise oben mitgespielt. Auf der einen Seite war er Profi durch und durch, auf der anderen Seite ein absolut lustiger Typ. Wir haben mit ihm regelmäßig Lattenschießen gemacht. Einmal gewann er sogar und meinte dann zu uns: ‚Ich war nur Kreisligaspieler, aber für euch reicht es scheinbar allemal‘“, erinnert sich Feinbier amüsiert.
Die für ihn persönlich erfolgreichste Zweitliga-Saison war jene 2001/02. 19 Treffer standen am Ende zu Buche – einer mehr und er hätte sich Torschützenkönig nennen dürfen. Denkbar knapp verlief das Rennen: Am letzten Spieltag traf im direkten Duell Bielefelds Artur Wichniarek doppelt, während es für Feinbier nur zu einem Tor reichte. Somit ging die Krone an Wichniarek. „Klar war ich in dem Augenblick enttäuscht, aber viel enttäuschter war ich darüber, dass mir Helmut Spikker im Anschluss meinen Wechsel nach Gladbach verwehrt hat. Rainer Bonhof und Christian Hochstätter wollten mich unbedingt verpflichten, aber Helmut Spikker war die Ablöse völlig egal.“
Feinbier verpasst mit Greuther Fürth Bundesliga-Aufstieg
Im Sommer 2003 verabschiedete er sich dann aus Ahlen, aber nicht zu den Fohlen, sondern zu Greuther Fürth. Aufgrund seiner Club-Vergangenheit ging der Transfer mit einiger Kritik vonstatten. Feinbier ließ diese aber mit Leistung verstummen. Zusammen mit Sascha Rösler bildete er ein kongeniales Stürmerduo, wenngleich es nicht mit dem Aufstieg in die Bundesliga klappen sollte. „Wir hatten eine wirklich coole Truppe zusammen. Mit Benno Möhlmann auch einen fantastischen Trainer, der wirklich jeden Spieler gesiezt und so eine Form von gegenseitigem Respekt geschaffen hat. Für mich war er ein Gentleman-Trainer. Die Gründe für den Nicht-Aufstieg lagen auf der Hand. Helmut Hack, den ich für einen absoluten Ehrenmann halte, wollte nicht investieren. Er sagte immer: ‚Bevor wir ins Minus gehen, verzichte ich lieber auf den Aufstieg.‘ Ich glaube, wenn wir mehr in die Mannschaft investiert hätten, wären wir aufgestiegen“, meint Feinbier.
Wenn der 55-Jährige heute auf den Fußball blickt, vermisst er einiges. „Vieles hat angefangen mit den verrückten Ablösesummen. Dadurch wird ein unmenschlicher Druck auf die Spieler erzeugt, die keiner von ihnen bedienen kann. Damals ging es wirklich um Fußball, heute steht das Geld vielmehr im Vordergrund. Natürlich würde ich mir mehr echte Typen wünschen, aber dann müssten auch die Medien mitspielen und nicht jeden gesagten Satz auf die Goldwaage legen. Leider hört sich mittlerweile jedes Interview gleich an. Wenn ich ehrlich bin: Mir fehlt das Herz des Fußballs.“
Interview: Henrik Stadnischenko