
Unter Niko Kovač stabilisiert sich der BVB zunehmend. Hat der Coach eine Trendwende geschafft oder von schwachen Gegnern profitiert?
Hamburg/Dortmund – Borussia Dortmund hat am 24. Spieltag der Bundesliga im Auswärtsspiel beim FC St. Pauli für eine Saisonpremiere gesorgt: Erstmals gelang den Schwarzgelben in der Liga, auf ein Erfolgserlebnis einen weiteren Sieg folgen zu lassen.
Nach der 6:0-Gala gegen Union Berlin bot das 2:0 in Hamburg mit Ausnahme des sehenswerten Treffers von Matchwinner Karim Adeyemi (58.) eher fußballerische Hausmannskost, damit können sie beim BVB aber bestens leben. Zwar bleibt es bei Tabellenplatz zehn, den Anschluss an die Europapokalränge hat Dortmund unter Neu-Trainer Niko Kovač inzwischen aber herstellen können.
BVB unter Niko Kovač in sechs Pflichtspielen viermal ohne Gegentor
Der Chefcoach sammelt weiter Pluspunkte, lässt die Skeptiker, die seine Verpflichtung als Nachfolger von Nuri Şahin (und Interimscoach Mike Tullberg) kritisch gesehen hatten, nach und nach verstummen. Kovač hat nicht den Auftrag erhalten, den Fußball zu revolutionieren und an die „Vollgasveranstaltungen“ von Jürgen Klopp zu erinnern. Sondern der Kroate sollte die Mannschaft stabilisieren und ganz einfach Ergebnisse einfahren.
Nach sechs Pflichtspielen liest sich die Zwischenbilanz gemessen am Krisenzustand des BVB vor Amtsantritt von Kovač ordentlich: Drei Siege, ein Remis und zwei Niederlagen stehen zu Buche, viermal schon blieb Dortmund dabei ohne Gegentreffer, zuletzt alleine dreimal am Stück. Das ist keine Selbstverständlichkeit für eine Mannschaft, die immer noch mehr Bundesliga-Tore kassiert hat als die beiden Gegner, die sie zuletzt besiegen konnte.
„Ein seriöses Spiel“ reicht dem BVB auf St. Pauli
Das 2:0 auf St. Pauli sticht dabei als erst dritter Auswärtssieg in der laufenden Bundesliga-Saison nicht weniger, aber anders hervor als das 6:0 gegen Union in der Vorwoche. Auf fremden Plätzen war der BVB zuvor nur bei einem torlosen Remis gegen Werder Bremen ohne ein Gegentor geblieben.

„Wir haben ein seriöses Spiel gemacht. Die erste Halbzeit war nicht so gut von uns, aber in der zweiten Halbzeit haben wir das ganze unter Kontrolle gehabt, zwei, drei gute Nadelstiche gesetzt, das hat gereicht“, schätzte Verteidiger Nico Schlotterbeck, wie üblich einer der besten beim BVB, gegenüber dem TV-Sender Sky ein.
Experte Dietmar Hamann, der in der jüngeren Vergangenheit oft scharfzüngig über Dortmund richtete, nahm den Ball von Nationalspieler Schlotterbeck auf. „Er hat das Wort genutzt, dass ich zu oft bei den Dortmundern vermisse: seriös. Es war eine seriöse, professionelle Einstellung und Leistung. Sie haben ohne großes Aufheben das Spiel nach Hause gefahren. Mehr brauchst du gegen St. Pauli nicht“, sagte Hamann.
Kein Top-Team besiegte St. Pauli im Vorbeigehen
Fakt ist: St. Pauli hat nun vier Bundesliga-Partien am Stück verloren, stellt mit nur 18 Treffern den schwächsten Angriff der Liga. Fakt ist aber auch, dass sich die defensiv fast immer stabilen Hamburger kaum im Vorbeigehen besiegen lassen. Gegen den FC Bayern, Bayer Leverkusen und Eintracht Frankfurt, also die Top drei der Tabelle, waren die Kiezkicker jeweils mit einem Treffer Unterschied unterlegen.
Gegen RB Leipzig punktete St. Pauli in der Hinrunde, mit dem VfB Stuttgart verlor auch schon ein Champions-League-Teilnehmer gegen den Aufsteiger. Auswärts bei den Hamburgern gewonnen zu haben, ohne dabei nah an die Leistungsgrenze gehen zu müssen, sollte dem BVB guttun.
Kovač traf mit Dortmund auf machbare Gegner
Keine Frage, der Spielplan hat Kovač in die Karten gespielt. Mit Stuttgart und Sporting in der Champions League ist Dortmund unter dem neuen Trainer nur auf zwei Gegner von höherer Güteklasse getroffen, ansonsten ging es mit dem VfL Bochum, Union und St. Pauli gegen Teams aus dem Tabellenkeller. Gegen den VfB setzte es zum Debüt von Kovač eine verdiente Heimniederlage, in 180 Minuten gegen Lissabon reichte eine gute Halbzeit, um die K.-o.-Runde für den BVB zu entscheiden.
Dortmund ist aber schon viel zu oft über vermeintlich leichte Gegner gestolpert, als dass die ersten Erfolgserlebnisse unter Kovač in der Bundesliga völlig kleingeredet werden sollten. In vier von sechs Pflichtspielen ohne Gegentor geblieben zu sein, ist ungeachtet der Qualität der Gegner eine Hausnummer, auf der sich aufbauen lässt.
Die Gefahr, dass zu schnell zu große Zufriedenheit aufkommt, scheint beim vergleichsweise nüchternen Berliner Kovač nicht gegeben. Auch die Mannschaft erweckt den Eindruck, dass der sprichwörtliche Groschen womöglich endlich gefallen ist. Andernfalls gäbe es im Hintergrund genügend Mahner.
Sportchef Lars Ricken fordert beim BVB einen „Tunnelblick“
„Wir müssen jetzt nicht komplett in Euphorie verfallen. Es geht darum, den Tunnelblick zu haben, die Scheuklappen aufzusetzen und auf uns zu schauen“, gab Sportchef Lars Ricken am Millerntor die Richtung mit Blick auf den Dienstagabend vor. Da geht es gegen den OSC Lille im Achtelfinale der Königsklasse.
Bisher war die Champions League für den BVB eine Wohlfühloase inmitten der so problematischen Bundesliga-Saison. Diesmal nimmt Dortmund sogar Rückenwind aus den beiden Siegen mit. Gewissermaßen ist aber alles, was jetzt noch im Europapokal kommt, Bonus. Der klare Fokus muss darauf liegen, auch nächste Saison an einem internationalen Wettbewerb teilzunehmen.
Platz vier und die damit verbundene Champions-League-Qualifikation bleibt das Fernziel, das aber beim BVB aktuell gar nicht so erklärt im Visier ist. „Im Endeffekt geht es darum, Spiele zu gewinnen. Und dann gucken wir, was dabei rauskommt“, hielt sich Ricken in Hamburg bedeckt.
Immerhin scheint der reine Krisenmodus für den Moment vorbei zu sein bei Borussia Dortmund.