Die Eintracht in Europa: Chance und Risiko

Die Eintracht in Europa: Chance und Risiko


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24.10.2024, Fussball UEFA Europa League, Eintracht Frankfurt - FC Riga FS RFS, emonline, emspor, v.l., Rasmus Kristensen
Wohin führt die Reise der Eintracht? Rasmus Kristensen wird als Einpeitscher vorneweggehen. © IMAGO/HMB Media/Claus

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Die Eintracht wird den verschüttet gegangenen Europapokalmodus wieder beleben müssen, wenn sie
bei Ajax Amsterdam bestehen will / Von Ingo Durstewitz

Für den unverwüstlichen Haudegen Rasmus Kristensen ist der Trip hinüber nach Amsterdam, dem Venedig des Nordens, eine Reise in die eigene Vergangenheit. Wieder einmal, muss man anfügen. Denn seit der 27 Jahre alte Wikinger aus Dänemark die Farben von Eintracht Frankfurt trägt, und das ist nicht mal ein Jahr der Fall, durfte er auf internationalem Geläuf schon zweimal gegen Kontrahenten antreten, für die er früher selbst einmal spielte. Das ist durchaus kurios.

So wurde er Ende November von den Fans seines Ausbildungsvereins FC Midtjylland nach allen Regeln der Kunst abgefeiert, und auch bei der AS Rom, Gegner im Januar, verdingte sich der Rechtsverteidiger mal. Bevor er nach Frankfurt wechselte, machte er 29 Spiele für den italienischen Hauptstadtklub.

Nun also der dritte Streich, nun also Amsterdam.

Für Ajax hielt Kristensen eineinhalb Jahre seine Knochen hin, es war eine durchaus erfolgreiche Zeit, gekrönt durch das Double von Pokal und Meisterschaft 2019. Es war die Saison, in der sich Ajax mit einem atemberaubenden Fußball in die Herzen der Menschen spielte, in der Champions League im Halbfinale nur dramatisch an Tottenham Hotspur scheiterte – Kristensen war in der Königsklasse aber nur Zuschauer.

Heute ist der furchtlose Mann ein anderer Spieler geworden, sehr viel erfahrener und abgeklärter. In Frankfurt schätzen sie seine Mentalität und seine Führungsqualitäten, er ist ein Leitwolf, der weder sich noch den Gegner oder die eigenen Mitspieler schont.

Gar nicht so unwichtig in Zeiten wie diesen, da es nicht mehr so rund läuft bei Eintracht Frankfurt, die Ziele in Gefahr geraten und die junge Mannschaft einen Halt, einen Anker braucht.

Auf einen wie ihn wird es auch in den beiden Duellen um den Viertelfinaleinzug gegen Ajax ankommen, das erste am Donnerstagabend (21 Uhr/RTL) in der 55 000 Menschen fassende Johan-Cruyff-Arena. Es braucht Leidenschaft und Leidensfähigkeit, Typen mit Haltung und Einstellung, die nicht umfallen, wenn es windig wird. Typen wie Rasmus Kristensen.

Die Eintracht wird insgesamt eine andere Wehrhaftigkeit und Festigkeit zeigen müssen, die Mannschaft sollte nun tunlichst am Turnaround arbeiten, denn sonst droht die Saison in der zweiten Saisonhälfte mal wieder den Bach runterzugehen. Die Frage wird sein, ob das Team die beiden harten Nackenschläge zuletzt wird wegstecken können, 0:4 gegen Bayern, 1:4 gegen Leverkusen – da ist die Eintracht in 180 Minuten mal eben auf Normalmaß zurechtgestutzt worden. Da können schon mal grundsätzliche Zweifel aufkommen. Insofern kommt dem ersten Aufeinandertreffen mit Ajax im stimmungsvollen Fußballtempel im Bezirk Zuidoost einige Bedeutung zu.

Auf internationalem Parkett haben die Frankfurter nun auch die Chance, sich zu rehabilitieren und sich das nötige Selbstvertrauen zu holen, um in der anstehenden Crunchtime zu bestehen. Es sind entscheidende Wochen für den Fußballklub aus dem Hessischen. „Wir wollen mutig sein und nach vorne spielen“, kündigt Linksverteidiger Nathaniel Brown an. „Wir werden dort ein anderes Gesicht zeigen.“ Sollte die nicht eben kleine Hürde Ajax übersprungen werden, käme es im Viertelfinale zum Kräftemessen mit AZ Alkmaar oder Tottenham Hotspurs.

Von Vorteil wäre es gewiss, wenn die Eintracht mal wieder in ihren Europapokalmodus schalten könnte, also einen Aggregatszustand herstellen, der es ihr ermöglicht, über sich hinauszuwachsen und nicht nur ans Limit zu gehen und zu kommen, sondern Grenzen zu verschieben. Das ist dieses Phänomen, was in Frankfurt von Vorstandssprecher Axel Hellmann gerne das „energetischen Band“ genannt und allgemein mit „magischen Nächten“ beschrieben wird.

Gleichwohl: Der Zauber auf europäischer Bühne ist zuletzt eher reflexartig besungen, aber gar nicht mehr gelebt worden. Seit dem Europa-League-Triumph von Sevilla und der anschließenden Reise durch die Champions League hat das besondere Fluidum einen weiten Bogen um Frankfurt gemacht. Seit dem Aus in der Königsklasse gegen die SSC Neapel vor ziemlich genau zwei Jahren sind zwar 16 internationale Partien absolviert worden, ohne freilich Feuer und Kitzel erzeugen zu können.

Das liegt sicher an wenig klangvollen Gegnern wie HJK Helsinki, FC Aberdeen oder FC Midtjylland und Riga FS. Und gewiss ist es der europäische Wettbewerb durch die beständige Teilnahme in jüngster Vergangenheit auch ein Stück weit Normalität geworden – zumal die Krönung im Mai 2022 in Sevilla ja schon erfolgte, Königsklasse als Belohnung obendrauf. Was soll da an Highlights noch nachfolgen?

Auffallend ist dennoch, dass die Eintracht in dieser Saison gegen Mittelschwergewichte wie Olympique Lyon und AS Rom den Kürzeren zog. Und auch, dass sie es vor einem Jahr in zwei K.o.-Spiel gegen Union Saint-Gilloise nicht schaffte, diesen Spirit zu erzeugen, den es in Alles-oder-Nichts-Spielen braucht. Das klägliche Aus gegen die Belgier war ein Schlag ins Kontor.

Sicherlich hat das auch mit der Zusammensetzung der Mannschaft zu tun, die Europapokalhelden von einst waren aus einem anderen Holz geschnitzt, da waren gestandene und willensstarke Spieler dabei wie Martin Hinteregger, Sebastian Rode und Filip Kostic oder auch ein nervenstarkes Schlitzohr wie Rafael Borré. Da ist die aktuelle Mannschaft schlicht weg zu grün hinter den Ohren. Andererseits hat sie die Möglichkeit, an solchen Aufgaben zu wachsen und erstarken. Haudegen wie Rasmus Kristensen oder Arthur Theate müssen da die Leitlinie vorgeben.

Und nicht zu vergessen: Ajax Amsterdam hat einen klangvollen Namen, es ist ein großartiges Achtelfinalduell zweier traditionsreicher Klubs. Das K.o.-Duell ist für die Eintracht nicht nur Risiko, sondern gleichzeitig auch eine gute Chance, Dinge geradezurücken. Eine Initialzündung käme den zuletzt doch arg gerupften Mannen mit dem Adler auf der Brust gerade recht.



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