Der BVB wird gegen Lille von alten Dämonen heimgesucht


Auf seltsame Art war die Stunde nach dem Abpfiff eine passende Fortsetzung der zweiten Halbzeit des enttäuschenden 1:1 (1:0) von Borussia Dortmund gegen den OSC Lille, über das sich wirklich ambitionierte Spieler mächtig geärgert hätten. So ein Achtelfinale in der Champions League ist ja kein Alltagsspiel, womöglich werden die Dortmunder sehr lange warten müssen, bis sie das nächste Mal so weit kommen auf dieser besonderen Bühne.

Doch die leblose und fehlerhafte zweite Hälfte wurde nüchtern hingenommen wie ein verlorener Trainingskick. „Ich fand, es war im zweiten Abschnitt ein bisschen wenig von uns“, sagte Nico Schlotterbeck lapidar, und Trainer Niko Kovac verkündete mit Blick auf das Rückspiel knapp: „Es ist 1:1, es ist Halbzeit.“

Womöglich wird dieser Abend intern in einer etwas anderen Tonlage aufgearbeitet, denn es gibt einiges aufzuarbeiten. Nach einer guten ersten Halbzeit und einem sehr schönen Fernschusstor von Karim Adeyemi (22.) sind die Dortmunder nämlich von alten Dämonen heimgesucht worden, die zuletzt an Einfluss verloren hatten. Das ist ein Rückschlag. In den Analysen wirkte das erstmal harmlos: „Zu passiv“ sei die Mannschaft geworden, sagte Sportdirektor Sebastian Kehl, das Team habe „zu wenig Intensität gegen den Ball“ entwickelt, ergänzte Kapitän Emre Can, die zweifelhafte Botschaft lautete: Kann ja mal passieren.

Die zwei Gesichter des BVB gegen Lille

Warum einige Spieler aber in solch einer besonderen Europapokalnacht, in der die allermeisten Fußballprofis des Planeten gerne bereit wären, an Grenzen zu gehen, derart nachlässig wurden, bleibt ein riesengroßes Rätsel. Zum Beispiel Karim Adeyemi, der zwar ein kompliziertes Tor geschossen hatte, nach der Pause aber nur noch in einzelnen Momenten beim Verteidigen helfen mochte.

Ganz konkret wäre seine Unterstützung beim 1:1 hilfreich gewesen, das Hakan Haraldsson schoss (68), weil Julian Ryerson in Adeyemis Rücken plötzlich zwei Gegenspieler hatte und sich zu spät auf den Torschützen konzentrierte. Inmitten einer sich anbahnenden Gefahrenlage war Adeyemi gemütlich nach vorne spaziert, als habe er mit dem Verteidigen nichts zu tun. Wer in dieser Szene den Außenstürmer beobachtete, konnte nur staunen.

DSGVO Platzhalter

Zuvor hatte Marcel Sabitzer sich im Zentrum viel zu einfach ausspielen lassen, große Spieler helfen sich in solchen Momenten, sind maximal aufmerksam. Funktionierende Mannschaften reparieren solche Fehler im Kollektiv. Nicht so der BVB, bei dem in etlichen Momenten die Schärfe verloren ging. „Wir sind nicht da hingegangen, wo es weh tut“, sagte Can.

Das war umso erstaunlicher, weil genau diese Solidarität und die erforderliche Intensität in der ersten Hälfte noch vorhanden waren. Jenseits der weiterhin sichtbaren Verunsicherung von Julian Brandt und der immer noch nicht behobenen Formschwäche von Jamie Gittens hatte das Team 45 Minuten lang eine würdige Europapokalleistung hinbekommen. „Wir waren griffig, waren in den Zweikämpfen stark, hatten eine gute Ballzirkulation“, sagte Kovac.

Dortmunder Symtome und ihre Ursache

Das Zentrum mit den Innenverteidigern Can und Schlotterbeck sowie den Sechsern Pascal Groß und Marcel Sabitzer strahlte Sicherheit aus, und der junge Linksverteidiger Daniel Svensson spielte mutig und energisch. Der im Winter verpflichtete Schwede ist ohnehin eine echte Bereicherung, musste allerdings zehn Minuten vor dem Ende aufgrund einer Knieverletzung ausgewechselt werden und droht länger auszufallen.

Mit einer ähnlich seriösen zweiten Spielhälfte hätten die Dortmunder sich nicht nur eine hervorragende Ausgangslage fürs Rückspiel herausarbeiten, sondern den ganzen emotional gebeutelten Klub mit frischen Energien aufladen können. So blieb jedoch der Eindruck, dass Kovac zuletzt zwar ein paar Symptome des schwarz-gelben Gebrechens behandeln konnte, aber keinesfalls die eigentliche Ursache.

Unter Experten aus dem Umfeld des Klubs wurde nach der Partie darüber diskutiert, ob die Spieler mit körperlichen Defiziten zu kämpfen haben, weil das Team nicht zum ersten Mal derart abgebaut hat. Ein Verdacht lautete, dass der junge und im Januar entlassene Trainer Nuri Sahin Fehler bei der Arbeit an den Grundlagen gemacht hat, Schotterbeck jedoch widersprach: „Es war am Ende auf gar keinen Fall eine Kraftfrage.“

Aber dieses Thema wird bleiben, weil es Indizien gibt, die eben doch auf physische Schwächen hindeuten. So ist in der Bundesliga nur der VfL Bochum noch weniger gelaufen. Die in der Regel gut informierten „Ruhr Nachrichten“ wollen sogar erfahren haben, dass Kovac am Fitnesszustand seiner Spieler „verzweifelt“. Dagegen spricht, dass der Trainer drei seiner vier Auswechslungen erst in der 83. Minute vorgenommen hat. Irgendwie bleibt der BVB ein Team der Widersprüche. Und es wäre nicht verwunderlich, wenn diese Mannschaft auch ihrem Trainer noch ein Rätsel wäre.



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