

Der französische Vertreter OSC Lille wird in Europa gerne mal unterschätzt, sorgt in der Königsklasse aber mächtig für Furore – Borussia Dortmund sollte im Achtelfinale also gewarnt sein.
Die Europareise des OSC Lille verlief bisher wie ein nicht enden wollender Triumphzug. In der Königsklasse gab es mächtige Siege gegen Real Madrid (1:0), bei Atletico Madrid (3:1), in Bologna (2:1) und zum Abschluss der Vorrunde ein 6:1 gegen Feyenoord Rotterdam. Hinzu kommt ein 1:1 gegen Juventus Turin und ein unglückliches 1:2 beim FC Liverpool. Lille erreichte letztlich Platz sieben nach acht Spieltagen und ersparte sich damit die Playoffs. Im Achtelfinale gastiert die Elf des erfahrenen Trainers Bruno Genesio nun zunächst im Hinspiel bei Borussia Dortmund. Der launische Klub aus Westfalen besitzt letztlich den größeren Namen, doch ob er auch trotz eines im Vergleich zu Lille eklatant höheren Etats auch über die bessere Mannschaft verfügt, ist angesichts der erfolgreichen Champions-League-Tournee der Lillois unklar.
OSC Lille ist einer der großen französischen Traditionsklubs und hinter Olympique Marseille, Olympique Lyon und Paris Saint-Germain der viertbeliebteste Verein Frankreichs. Das Team spielt im modernen Stade Pierre Mauroy, das Platz für 50 000 Menschen bietet. Dabei verfügt Lille über gerade einmal 240 000 Einwohner, auch dieses Verhältnis illustriert die besondere Bedeutung des Fußballs in dieser Region.
Und das Team aus Lille ist erfolgreich. 2011 sicherte sich der Klub das Double, insgesamt gewann er bereits sechsmal den Pokal und viermal die Meisterschaft, zuletzt 2021. Vor vier Jahren ließ das Team des Außenseiters die bestens alimentierte Weltauswahl von Paris Saint-Germain hinter sich. Der Vorsprung betrug damals nur einen Punkt, das Ergebnis hatte aber die Wirkung einer herben Schlappe für die hochnäsigen Verantwortlichen des Hauptstadtklubs, die spöttisch auf die einstige Kohleregion im Nordosten des Landes blicken.
Allerdings muss sich Lille nicht nur sportlich, sondern auch kulturell nicht hinter Paris verstecken. Der Ort war 2004 zusammen mit Genua Europas Kulturhauptstadt und ist die Kerngebiet des Gemeindeverbandes „Métropole Européenne de Lille“, auch das ist eine große Auszeichnung.
Die Fußballer dieser europäischen Metropole haben sich längst von der naserümpfenden Pariser Bourgeoisie emanzipiert. Der Sieg über Real Madrid mit Frankreichs Nationalhelden Kylian Mbappé war das Ergebnis einer klugen Kontertaktik und einer großartigen Defensive. Real blamierte sich damals mit einem uninspirierten Auftritt, vor allem der in jener Zeit noch formschwachen Mbappé enttäuschte völlig gegen das Team, zu dessen Kader sein 18-jähriger Bruder Ethan Mbappé gehört. Doch bisher spielt er selten, in der Ligue 1 kam Ethan Mbappé bisher erst siebenmal für Lille zum Einsatz.
Auch in der Ligue 1 überzeugt der aktuelle Tabellenfünfte Lille trotz einer deftigen 1:4-Schlappe am vergangenen Samstag bei Paris Saint-Germain. Dort verzichtete Genesio aus Gründen der Schonung auf vier Stammspieler in seiner Startaufstellung und nahm alle Schuld für die Schlappe auf sich.
Dabei ist ansonsten besonders die Defensive sehr stark. In 24 Spielen kassierte Torhüter Lucas Chevalier 27 Gegentore, das bedeutet in dieser Wertung Rang zwei hinter Paris (23 Gegentreffer). Im Mittelfeld kann Trainer Genesio wieder auf den erfahrenen Ex-Schalker Nabil Bentaleb zurückgreifen, der zuvor monatelang wegen einer im Juni 2024 erlittenen Herzattacke ausgefallen war. „Mit ihm haben wir mehr Struktur im Spiel“, sagt Genesio.
Doch vor allem können Lille und Genesio auf die Qualitäten des am Samstag 63 Minuten geschonten Torjägers Jonathan David vertrauen, einem kanadischen Mittelstürmer, der in der Ligue 1 bereits 13 Treffer erzielte. Damit ist er Dritter der Torschützenliste. In der Champions League traf er bisher neunmal in 16 Partien. David ist ein Spieler, für den sich viele Klubs aus der englischen Premier League interessieren. Lille hatte schon für einige bekannte Spieler die Funktion eines Schaufensters: Eden Hazard, Benjamin Pavard oder Frankreichs Nationaltorhüter Mike Maignan starteten in Frankreichs Norden ihre internationale Karriere.
In Dortmund wird Lille auf seine eingespielte Defensive setzen, eine Viererkette mit erfahrenen Spielern, von der Genesio sagt: „Wir treten defensiv sehr solide und effizient auf, dazu zählt auch unsere starke Phalanx aus defensiven Mittelfeldspielern. Das wird uns auch im weiteren Verlauf der Saison sehr helfen.“ Aktuell setzt Genesio auf ein 4-4-2-System und weiß, dass für Siege Effektivität vor Schönheit geht. Und wenn man, wie in Dortmund zu erwarten, in Bestbesetzung antrete, „ist es schwer, uns zu schlagen, auch wenn unser Spiel bisweilen vielleicht nicht besonders ästhetisch wirkt.“