Wie sich Serhou Guirassy zum Stabilisator des BVB entwickelt hat

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Ein kleines Wort reichte dem Fußballtrainer Niko Kovac, um den Auftritt seines Tageshelden zu beschreiben. „Weltklasse“ sei die Leistung des Torjägers Serhou Guirassy gewesen, der vier Treffer zum 6:0-Sieg beigetragen und damit erstmals in seiner Profikarriere in einer Partie viermal getroffen hatte. „Das war ein perfekter Abend“, ergänzte der Nationalspieler Guineas, der bereits die Torjägerliste der Champions League vor Superstars wie Kylian Mbappé, Robert Lewandowski oder Harry Kane anführt. In der Bundesliga war er vor diesem 23. Spieltag mit neun Toren weit weniger effizient. Haben die Dortmunder also am Samstag den endgültigen Durchbruch eines Fußballers erlebt, der alle mitreißen kann?

Das Gesicht dieses für Borussia Dortmund befreienden Abends mag Hans-Joachim Watzke gewesen sein, dessen ungetrübtes Lachen auf der Tribüne eine bislang verborgene Seite des Klubchefs sichtbar machte. Der heimliche Held war Pascal Groß, der vier Tore vorbereitet hatte, aber die große Hoffnung ist Guirassy.

Denn zumindest auf den ersten Blick verkörperte der im vorigen Sommer für 18 Millionen Euro aus Stuttgart ins Revier transferierte Profi die stark schwankenden Ergebnisse zwischen nationalem und internationalem Wettbewerb wie kaum ein anderer. Wenn er jetzt auch in der Bundesliga regelmäßig träfe – so könnte man annehmen –, würden für das gesamte Team bessere Zeiten anbrechen. Wobei Guirassy auch in Partien ohne Tore häufig zu den stärksten Dortmundern zählte.

Kovac schickt Groß bei Ballbesitz auf die Außenbahn

Denn er arbeitet auch dann intensiv mit, wenn die Gegner den Ball haben. Er wartet nicht nur auf Torvorlagen, sondern bereichert den Spielaufbau, indem er sich in den engen Räumen des offensiven Mittelfeldes anbietet. „Ich würde Serhou gegen keinen Spieler der Welt tauschen“, hat der im Januar beim BVB entlassene Nuri Şahin im Herbst über Guirassy gesagt. Das war vielleicht ein wenig übertrieben, aber nicht erst seit der Show gegen Union ist der Nationalspieler Guineas neben Nico Schlotterbeck der zuverlässigste Stabilisator des launischen BVB-Konstrukts. Es hat allerdings lange gedauert, bis er auf diesem Niveau angekommen ist.

Nach ersten Profistationen bei Stade Laval, AJ Auxerre und OSC Lille wechselte er 2016 zum 1. FC Köln in die Bundesliga, wo er – auch aufgrund von Verletzungen – drei Jahre lang eher mitschwamm. Erinnert wird bei den Rheinländern vor allen Dingen eine Szene aus einer richtungsweisenden Partie im Kampf um den Klassenverbleib gegen Werder Bremen, als Guirassy aus drei Metern das leere Tor verfehlte. Danach war das Kölner Urteil gefällt: Das ist keiner.

„Weltklasse“: BVB-Coach Kovac ist voll des Lobes für seinen trefffreudigen Torjäger. Der Erfolg liegt auch an der Zusammenarbeit mit Pascal Groß.
„Weltklasse“: BVB-Coach Kovac ist voll des Lobes für seinen trefffreudigen Torjäger. Der Erfolg liegt auch an der Zusammenarbeit mit Pascal Groß.AFP

Zurück in Frankreich blieb er zunächst ein Mittelklassestürmer, schoss in einer Saison zehn Tore für Stade Rennes, in einem anderen Jahr traf er neunmal, aber kaum jemand konnte sich vorstellen, dass dieser Spieler in die Phalanx der Allergrößten vorstoßen würde. Doch die 28 Treffer in der vergangenen Bundesligasaison für den VfB Stuttgart waren ein Statement. Und dass Guirassy sich im laufenden Jahr nicht dauerhaft von den Krisendynamiken beim BVB herunterziehen ließ, ist beeindruckend. Nach dieser Partie besteht nun sogar die Hoffnung, dass er einen kongenialen Partner gefunden hat.

Drei Guirassy-Treffer und Maxi Beiers 6:0 hatte Pascal Groß aufgelegt. Vier Assists eines Bundesligafußballers in einem einzigen Spiel gab es nach Angaben des Statistikdienstleisters „Opta“ seit Beginn der Datenerhebung erst zweimal: durch Christopher Nkunku für RB Leipzig gegen Schalke 2020 sowie acht Jahre zuvor durch Szabolcs Huszti für Hannover 96 beim Niedersachsen-Derby in Wolfsburg.

Besser als Şahin scheint es Kovac zu gelingen, Groß ins Spiel des Teams zu integrieren, eine direkte Verbindung zu Guirassy herzustellen und nebenbei eine kleine BVB-Revolution in Gang zu setzen. In der jüngeren Vergangenheit wurde das alte Prinzip Flanke-Kopfball-Tor eher umgangen, Treffer sollten herauskombiniert werden. Weil aber Groß solch ein brillanter Flankengeber ist und Guirassy der passende Abnehmer, ändert sich das gerade.

Ein Grund dafür ist, dass der defensive Zentrumsspieler Groß seit einigen Wochen bei Ballbesitz regelmäßig die Position mit dem Linksverteidiger tauschen soll. Dadurch kommt er oft in Räume weit vorne auf dem Flügel, aus denen er seine Bälle in den Strafraum schlagen kann. Zwei Guirassy-Treffer und das Tor von Beier bereitete er auf diese Art vor, blieb anschließend aber selbstkritisch. „Wir haben in dieser Saison kein einziges Mal zwei Spiele hintereinander in der Bundesliga gewonnen, das ist schon echt schwach.“

Es ist also verständlich, dass die Angst vor dem nächsten Rückschlag noch nicht verflogen ist. Es sei dringend nötig, „mal drei, vier Spiele am Stück“ zu gewinnen, sagte Marcel Sabitzer, und nicht sofort wieder zusammenzufallen, wenn „dann auswärts wieder so ein ekliges Spiel kommt, wo wir uns den Schneid abkaufen lassen“. Auch Kovac mahnte: „Dieses Spiel ist ein schönes Zeichen, aber mehr auch nicht.“

Hinter solchen Aussagen steckt das ewige Problemthema beim BVB: Es gelingt nicht, die Spannung hoch zu halten und dauerhaft mit der erforderlichen ­Intensität zu arbeiten. Der abermals schwache Karim Adeyemi forderte erst mal sehr forsch zwei freie Tage, statt fokussiert zu bleiben, was Guirassy eher nicht tun würde. Der Stürmer ist auch deshalb solch ein bedeutsamer Spieler, weil er zwar auf die Vorlagen der Kollegen angewiesen ist, aber relativ unabhängig von den Leistungsschwankungen und Stimmungen seiner Mannschaft bleibt. Das trifft wahrlich nicht auf viele Dortmunder Profis zu.



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