
Hamburg. Alexander Blessin trainiert Borussia Dortmunds nächsten Gegner St. Pauli. Weggefährte und Ex-BVB-Star Fredi Bobic mit einer Einschätzung.
An den 29. September 1998 erinnert sich Alexander Blessin gerne, aber auch problemlos. Es war schließlich der einzige Europapokaleinsatz, den der heutige Trainer des FC St. Pauli in seiner aktiven Karriere erleben durfte. Das Hinspiel gegen Feyenoord Rotterdam hatte der VfB Stuttgart noch ohne Blessin mit 0:3 zu Hause verloren, im Rückspiel im legendären Stadion De Kuip führte der VfB nach Toren von Krassimir Balakov und Kristijan Djordjevic kurz vor Schluss nur mit 2:0, stand wegen der damals geltenden Auswärtstorregel vor dem Aus.
„Ich durfte mich eine halbe Stunde lang warm machen. Da bin ich bespuckt und mit Bier und niederländischen Gulden beschmissen worden. Das hat mir gefallen“, berichtete Blessin bereits im vergangenen Herbst. Noch mehr gefiel dem Stürmer aber, dass er in der 88. Minute eingewechselt wurde, wenige Augenblicke später einen Ball auf Fredi Bobic spielte und dieser mit dem 3:0 das Stuttgarter Sensations-Comeback perfekt machte.
Beim VfB Stuttgart: Blessin legte Bobic auf
Rund 26,5 Jahre nach dieser dramatischen Europapokalnacht kommt Bobic gerade aus einem Berliner Fitnessstudio, als er sich am Telefon meldet. „Alex hat mir den Ball schön aufgelegt, sodass ich ihn volley reinhauen konnte. Dadurch sind wir weitergekommen“, erinnert sich Bobic und ergänzt mit einem Lachen: „Das war sein Highlight-Moment.“

Nach dem 3:0-Siegtreffer in Rotterdam lagen sich Kristijan Djordjevic, Fredi Bobic und Alexander Blessin (v. l.) jubelnd in den Armen.
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Ende Januar 2023 wurde Bobic nach eineinhalb schwierigen Jahren als Sport-Geschäftsführer bei Hertha BSC freigestellt, zuvor hatte der 37-malige Nationalspieler vor allem in seinen fünf Jahren als Sportvorstand von Eintracht Frankfurt eine erfolgreiche Zeit erlebt. Auf Trainersuche war die Eintracht damals nicht, Niko Kovac und Adi Hütter standen nicht zur Debatte. Und dennoch nahm Bobic schon damals genau wahr, dass sein früherer Mitspieler als Nachwuchstrainer von RB Leipzig überzeugte.
Bobic über Blessin: „Er hat ein klares Konzept“
„Ich habe seinen Weg als Trainer natürlich verfolgt. Alex hat in Leipzig sehr gute Arbeit geleistet, was damals schon vielen Leuten aufgefallen ist. Da war er für viele Sportmanager im Fokus“, sagt Bobic. Über KV Oostende (Belgien), den CFC Genua (Italien) und Royale Union Saint-Gilloise (wieder Belgien) landete Blessin im vergangenen Sommer schließlich bei St. Pauli. Bobic ist vom 51-Jährigen überzeugt: „Er hat darüber hinaus ein klares Konzept und durch seine Auslandsstationen schon viel Erfahrung gesammelt. Abgesehen davon ist er ein super Typ.“
Was bisher kaum bekannt war: Kurz vor seiner Unterschrift bei den Kiezkickern verhandelte Blessin auch mit Zweitligist FC Schalke 04. Bei den Königsblauen war am Ende der vergangenen Saison nicht klar, ob Karel Geraerts weitermachen darf, weshalb sich Schalkes Sportdirektor Ben Manga nach Alternativen umsah. Neben Blessin wurde konkret auch mit Ex-HSV-Coach Thorsten Fink verhandelt, ehe Geraerts dann doch (vorerst) bleiben durfte.
Bobic tippt auf ein Remis zwischen St. Pauli und Dortmund
Für Blessin hat der geplatzte Schalke-Wechsel aus heutiger Sicht zwei positive Folgen: Zum einen kann er mit St. Pauli in der Bundesliga spielen – und zum anderen dürfte er im kommenden Heimspiel gegen Borussia Dortmund am Sonnabend (15.30 Uhr) im Gegensatz zum Spiel in Rotterdam von den gegnerischen Fans nicht bespuckt und mit Bier beworfen werden.

Trainer Niko Kovac (53) hofft, den BVB noch in die Champions League führen zu können.
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„Für mich ist das ein offenes Spiel, auch wenn viele den BVB nach dem 6:0 gegen Union Berlin jetzt vorne sehen. Mich beeindruckt einfach, wie eng St. Pauli alle Spiele gestaltet. Mein Bauchgefühl ist ein Unentschieden“, sagt der Bobic, der den BVB mit dem neuen Trainer Kovac nun allerdings deutlich besser aufgestellt sieht.
Anfang Februar übernahm Kovac beim BVB
„Ich habe schon vor der Verpflichtung gesagt, dass Niko jetzt genau der richtige Trainer für den BVB ist. Er hat eine klare Spielidee, ist ein bodenständiger, aber auch sehr klarer Mensch im Umgang mit den Spielern. Er spricht die Dinge klar an, egal ob ein 18-Jähriger oder ein Starspieler vor ihm steht“, sagt der 53-Jährige. „Er weiß, dass er erst mal einen sehr einfachen, pragmatischen Fußball spielen lassen muss, damit die Mannschaft ihr verschwundenes Selbstvertrauen zurückgewinnt.“
Wie fragil das Dortmunder Gebilde ist, erlebte Kovac bereits kurz nach seinem Amtsantritt: Einem 3:0-Champions-League-Erfolg bei Sporting Lissabon folgte vier Tage später eine 0:2-Pleite bei Bundesliga-Abstiegskandidat VfL Bochum. „Niko hat jetzt in sehr kurzer Zeit schon verschiedene Phasen durchlebt. Er weiß jetzt schon, wie die Spieler nach einer Niederlage und nach einem Sieg sowie in verschiedenen Drucksituationen reagieren“, sagt Bobic.

Fredi Bobic (53) ist derzeit unter anderem als TV-Experte für DAZN aktiv.
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Entwickelt habe sich Kovac nach seiner erfolgreichen Frankfurter Zeit unter anderem in der schwierigen Phase bei Bayern München, wo er sich unter anderem mit Thomas Müller überwarf, als er einen Generationswechsel vorantreiben wollte. „Nach der Station beim FC Bayern hat er auch viel reflektiert, was seinen Umgang mit einzelnen Spielern betrifft. Im Nachhinein hat er da zum Beispiel eingesehen, dass er mit Thomas Müller damals eine unnötige Baustelle aufgemacht hat“, sagt Bobic. „Der BVB ist jetzt eine sehr reizvolle, aber auch keine einfache Aufgabe, die ein Trainer mit seiner Klasse aber auf jeden Fall annehmen muss.“
Am Millerntor wartet nun die nächste Hürde auf den BVB, der bereits sieben Punkte Rückstand auf die Champions-League-Plätze hat. „Sie tun sich schwer damit, bei zweikampfstarken und kämpferischen Mannschaften dagegenzuhalten“, weiß Bobic. Auch die Kiezkicker sind für ihre starke Abwehr bekannt: „Man sieht eine Handschrift und wie besonnen und klar er mit der Mannschaft umgeht. Das sieht für mich so stabil aus, dass St. Paulis Bundesliga-Traum auch noch nächste Saison weitergehen kann.“ Für Blessin wäre es der nächste unvergessliche Moment in seiner Karriere.