
Wolfsburg. Die Torhüterin des VfL Wolfsburg spricht erstmals über die Ablösung von Merle Frohms, das Binnenverhältnis der Keeperinnen und ihre Zukunft.
Es war eine Entscheidung, mit der im deutschen Frauenfußball niemand gerechnet hatte. Nicht einmal, als sie bereits gefallen war. Als Anneke Borbe Anfang Februar das Tor des VfL Wolfsburg gegen Carl Zeiss Jena hütete, ahnte niemand, dass die vorherige Nummer 3 der Wolfsburger Torhüterinnen dies in der zweiten Saisonhälfte dauerhaft tun soll. Erst hinterher stellte VfL-Trainer Tommy Stroot klar, dass die 24-Jährige einen im Winter – inoffiziell ausgerufenen – Wettstreit im Kampf um den Platz im Tor gewonnen hatte. Gegen die langjährige Nationaltorhüterin und VfL-Nummer-1 Merle Frohms. Nun spricht Anneke Borbe erstmals über die Beförderung im Klub, ihre Ziele mit dem VfL und ihre Zukunft.
Der Wechsel auf der Position zwischen den Pfosten, er begann im Grunde bereits vor der Winterpause. Borbe spielte im Champions-League-Spiel bei Gruppensieger Olympique Lyon (0:1). Der VfL hatte sein Viertelfinal-Ticket bereits zuvor gegen Rom gebucht, für den Ausgang in der Gruppe hatte die Partie keinen Wert mehr. Aber für Borbe war’s das erste Mal mehr: „Nach dem Spiel hatte ich das Gefühl, dass ich mich so zeigen konnte, wie ich es auch gerne gewollt hatte.“
Chance auf den Platz im VfL-Tor: Auch Anneke Borbe hat‘s überrascht
Aber auch sie selbst hatte da noch nicht im Kopf, dass sich daraus mehr entwickeln könnte. Das eine ist es schließlich, eine gute Leistung zu zeigen. Das andere, wie ein Trainer diese bewertet. Und ob er überhaupt bereit ist, auf einer Position zu tauschen, auf der es für gewöhnlich selten Wechsel gibt. Im Trainingslager rief Stroot dann intern ein offenes Rennen unter den Torhüterinnen aus. „Ich persönlich hatte mit dem Gespräch im Trainingslager nicht gerechnet“, gibt Borbe zu.

Anneke Borbe hatte zu Beginn der Wintervorbereitung selbst nicht mit der Chance gerechnet, für den Stammplatz im VfL-Tor vorspielen zu können.
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Eine neue Drucksituation hat sich erst einmal nicht ergeben. Die Ex-Bremerin hatte auch nichts zu verlieren. „Mir wurde auch widergespiegelt, dass ich mich ins Blickfeld gerückt habe und genau da weitermachen soll, wie ich es auch vorher getan habe“, erzählt sie. Erst als die Entscheidung in der Woche vor dem Jena-Spiel fiel und sie dann wirklich die Nummer 1 war, kam Druck hinzu. Aber: „Ich glaube, ich habe es jetzt in den ersten vier Spielen gut ausblenden können. Natürlich ist es jetzt eine andere Situation, beim VfL Wolfsburg im Tor und bei Topspielen in der Arena auf dem Platz zu stehen. Es wäre schon seltsam, wenn da gar kein Druck da sein würde.“
„Vor allen Dingen in den Tagen und Wochen, in denen das thematisiert wurde, habe ich mein Handy auch mal zwei Tage zur Seite gelegt. Ich meine: Merle Frohms ist immer noch ein Gesicht des deutschen Frauenfußballs. Da ist es doch klar, dass das Thema Wellen schlägt.“
Die Bewertungen und Kommentare in den Medien und bei Social Media blendete sie bewusst aus – auch wenn sie glücklicherweise nicht persönlich angegangen wurde. Sie sagt: „Vor allen Dingen in den Tagen und Wochen, in denen das dann thematisiert wurde, habe ich mein Handy auch mal zwei Tage zur Seite gelegt. Ich meine: Merle Frohms ist immer noch ein Gesicht des deutschen Frauenfußballs. Da ist es doch klar, dass das Thema Wellen schlägt.“
Nach Keeperinnen-Tausch: Zwischen Anneke Borbe und Merle Frohms „fließt kein böses Blut“
Und das Verhältnis im Torhüterinnen-Team? Für Frohms war es die zweite Degradierung binnen kürzester Zeit, nachdem sie vor Olympia schon ihren Platz im Tor der deutschen Nationalmannschaft verloren hatte. Ein persönliches Gespräch von Keeperin zu Keeperin habe es nicht gegeben. Borbe sagt: „Ich bin der Meinung, dass wir die Dinge im Torwart-Team sehr gut einschätzen können und auch wissen, dass wir persönlich keine Probleme dadurch bekommen.“ Die gebürtige Pinnebergerin weiter: „Natürlich muss sich jeder von uns in die neue Situation einfinden, aber da fließt kein böses Blut. Ich bin gut mit Merle und Lisa.“

Eine neue Torhüterinnen-Situation beim VfL Wolfsburg: Merle Frohms (vorne) musste ihren Stammplatz für Anneke Borbe (hinten) räumen.
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Überrascht hatte nicht erst Borbes Beförderung. Schon der Wechsel der gebürtigen Pinnebergerin nach Wolfsburg war keinesfalls ein alltäglicher. Borbe, Fan von DFB-Ikone Nadine Angerer, war Stammkeeperin bei Liga-Konkurrent Werder Bremen (83 Pflichtspiele). Als sie 2023 in die VW-Stadt kam, wusste sie, dass sie sich hinter Frohms und Lisa Schmitz anstellen musste. Sie erklärt: „Ich war einfach sehr lange in Bremen, und ich hatte das Gefühl, dass damals der nächste Schritt folgen müsste, ich vielleicht raus aus der Komfortzone wollte. Und als das Angebot aus Wolfsburg kam, war eigentlich klar, dass ich mich hier so entwickeln kann wie nirgendwo anders. Egal, ob ich Spielzeit bekomme oder nicht.“
Das war wichtig für den Sprung von Position 3 zur Nummer 1 beim VfL Wolfsburg
Eineinhalb Jahre musste sich die Keeperin gedulden, ehe Stroot ihr ein erstes Pflichtspiel gab, das 4:1 im DFB-Pokal-Achtelfinale in Mainz. „Irgendwann kam natürlich schon der Moment, an dem ich dachte, ich könnte mal wieder ein Spiel vertragen, ein paar Partien habe ich ja auch in der zweiten Mannschaft bestritten. Insgesamt war ich aber im ersten Jahr komplett fein mit der Situation. Weil ich gesehen habe, dass da im Vergleich zu den anderen Torhüterinnen ein Unterschied ist.“

Eineinhalb Jahre war Anneke Borbe beim VfL Wolfsburg außen vor. Ihren ersten Pflichtspiel-Einsatz hatte sie im DFB-Pokal-Achtelfinale bei Mainz 05.
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Dann aber kamen verschiedene Punkte zusammen, die dafür sorgten, dass Stroot diesen aufsehenerregenden Torhüterinnen-Tausch vorgenommen hat. Zum einen hat sich das Spiel des VfL früh in der Saison entscheidend verändert. Nach der Umstellung auf eine Dreier- oder Fünferabwehrkette rechnet der Wolfsburger Coach vermehrt mit Flanken der Gegner – und da hat Borbe unter anderem einen Größenvorteil mit 1,80 m im Vergleich zu Frohms (1,75 m).
Hinzu kam, dass Borbe in ihrer Entwicklung entscheidende Schritte gemacht hat. Sie sagt selbst: „Ich glaube, ich habe mich in allen Bereichen verbessern können. Sowohl von der Ausstrahlung als auch von der Sicherheit, die mir das Training gegeben hat, und in allen torwarttechnischen Bereichen.“
DFB-Chance nach VfL-Beförderung? Das denkt Anneke Borbe über die Nationalmannschaft
Und jetzt? Als Wolfsburger Stammkeeperin rückt man in der Regel fast automatisch in den Fokus der deutschen Nationalmannschaft. Im Nachwuchsbereich hat Borbe von der U15 bis zu U19 neun Einsätze gehabt. Doch Gedanken ans DFB-Team schiebt sie weg. „Das ist noch nicht so lange in Bewegung, dass ich mir darüber Gedanken machen würde. Wir reden von vier Spielen in zwei, drei Wochen und eineinhalb Jahre ohne Spielpraxis davor. Ich konzentriere mich darauf, zu zeigen, warum ich jetzt spielen darf. Über alles andere reden wir einfach später.“

Im Nachwuchsbereich stehen für Anneke Borbe neun Einsätze für die Nationalmannschaft zu Buche. Ob durch ihre Beförderung beim VfL im Frauenbereich noch weitere dazukommt, damit beschäftigt sie sich aktuell (noch) nicht.
Bisher hat sich die Schleswig-Holsteinerin, die im Nachwuchsbereich bei den Jungs begann und recht früh ins Tor gestellt wurde, nichts zuschulden kommen lassen. Ganz im Gegenteil: Die 24-Jährige hatte gute Aktionen auf der Linie, strahlte viel Sicherheit bei Flanken aus – und entschärfte im Spitzenspiel gegen Frankfurt (6:1) als Sahnehäubchen kurz vor Schluss noch einen Elfmeter. Auch wenn die Torhüterin von sich sagt, sehr selbstkritisch zu sein, „in einigen Phasen auch zu kritisch“, ist sie bisher mit sich zufrieden: „Ich glaube, ich habe es in den ersten vier Partien geschafft, das Vertrauen zurückzuzahlen und ein guter Rückhalt zu sein.“
Wieder Nummer 2? Anneke Borbe kann es sich nicht mehr so richtig vorstellen
Bleibt die Frage, wo sie sich in Zukunft sieht. Frohms verlässt den VfL Richtung Ausland, auch die Verträge von Borbe und Schmitz laufen aus. Als sicher (aber noch nicht bestätigt) gilt, dass der Klub Stina Johannes als neue Nummer 1 verpflichtet, zuletzt war mit Christina Schönwetter eine österreichische Nachwuchskeeperin im Probetraining.
„Ich würde es mir vielleicht noch einmal mehr überlegen, mich wieder als Nummer zwei auf die Bank zu setzen.“
Borbe sagt noch nicht, ob sie in Wolfsburg bleiben oder wechseln wird. Angebote gibt es, dem Vernehmen nach ist der SC Freiburg an ihr dran. Aber einen Hinweis gibt sie: „Ich glaube schon, dass ich jetzt mit den Spielen wieder merke, dass ich sehr gerne Fußball spiele und für die Spiele und nicht für das Training auf dem Platz stehe. Ich würde es mir vielleicht noch einmal mehr überlegen, mich wieder als Nummer zwei auf die Bank zu setzen.“
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