
Manche Vorgänge im Fußball werden sich nie vollständig erklären lassen, weshalb diese Mannschaftssportart sich so schön eignet für Metaphern aller Art. Wirklich klar war den Angehörigen von Borussia Dortmund nach dem erstaunlichen 3:0-Sieg bei Sporting Lissabon nur, dass etwas Rätselhaftes geschehen war im Verlauf dieser Partie, oder besser: in der Halbzeit. „Als wäre eine Handbremse gelöst worden“, sei ihm der Spielverlauf vorgekommen, war die Allegorie, die Lars Ricken, dem Geschäftsführer Sport, spät in der Nacht in den Sinn kam.Ziemlich unerwartet hatten die Dortmunder sich auf ihrer Reise an den Atlantik nach einer von all der Unsicherheit und Schwere dieses Winters geprägten ersten Halbzeit ganz plötzlich in eine richtig gut spielende Champions-League-Mannschaft verwandelt. „Spielfreude war auf einmal da“, sagte Ricken.Der Lohn waren drei schöne Tore und ein äußerst kostbarer Sieg, der das Potential zu einem Wendepunkt haben könnte. Weil er die Situation beruhigt, den Glauben an die kollektive Stärke belebt und als heilsames Medikament für die vielen unter Krisensymptomen leidenden Einzelspieler taugt.Trainer Niko Kovac freute sich für Torhüter Gregor Kobel, der erstmals seit dreizehn Partien wieder ohne Gegentor geblieben war. Er lobte das Innenverteidigerduo Emre Can und Nico Schlotterbeck, das die Mannschaft schon während der schwachen ersten Hälfte stabilisiert hatte. Er feierte den „Ausnahmestürmer“ Serhou Guirassy, der mit dem wichtigen 0:1 bereits seinen zehnten Champions-League-Treffer dieser Saison erzielt (60. Minute) und kurz darauf auch das 0:2 durch Pascal Groß (68.) vorbereitet hatte.„Das ist der Löser, den wir brauchen“Julian Brandt hatte die Vorarbeit zum ersten Treffer und zum 0:3 durch Karim Adeyemi (82.) geleistet. Zudem lobte Kovac den „kleinen Jungen, Daniel“, den Winterzugang Daniel Svensson, der als Linksverteidiger erstmals in der Startelf des BVB und erstmals überhaupt in der Champions League gespielt hatte. Konzentriert, selbstbewusst und besonnen löste der Schwede eine taktisch anspruchsvolle Aufgabe: defensiv auf der linken Außenbahn und offensiv, bei Ballbesitz, oft auch im Zentrum. „Das ist der Löser, den wir brauchen“, verkündete Kovac.Am Ende stand ein Spiel, das tief in die Psyche dieser Mannschaft blicken ließ. In der ersten Halbzeit waren noch all die Verwerfungen und Unwuchten sichtbar, mit denen dieses Team sich in diesem Winter herumquält. Die schlechte Stimmung verstärkte den allgegenwärtigen Mangel an Selbstvertrauen, das wiederum erzeugte Disharmonien im Zusammenspiel. Kovac fand: „Wir haben einfach viel zu langsam Fußball gespielt.“ Externer Inhalt von Eurosport Um externe Inhalte anzuzeigen, ist Ihre widerrufliche Zustimmung nötig. Dabei können personenbezogene Daten von Drittplattformen (ggf. USA) verarbeitet werden. Weitere Informationen . Externe Inhalte aktivieren Der BVB hatte Glück, dass Sporting ebenfalls ein labiles Team auf der Suche nach dem verlorenen Flow ist; ein richtig starker Gegner hätte die fehlerhaften Dortmunder in der ersten Halbzeit leicht mit zwei Treffern bestrafen können und das kleine Wunder nach der Pause unmöglich gemacht.Was genau die Verwandlung auslöste, konnte später aber niemand erklären. „Ich habe irgendwie das Gefühl, in der Champions League spielen wir befreiter auf“, mutmaßte Emre Can, was aber auf die erste Halbzeit ebenso wenig zutraf wie auf das verlorene Duell in Bologna im Januar, in dessen Folge Nuri Sahin entlassen wurde. Kovac hatte in der Halbzeit mehr Mut und eine Erhöhung des Balltempos gefordert, vor allen Dingen ist aber irgendetwas in den Köpfen passiert. Externer Inhalt von Eurosport Um externe Inhalte anzuzeigen, ist Ihre widerrufliche Zustimmung nötig. Dabei können personenbezogene Daten von Drittplattformen (ggf. USA) verarbeitet werden. Weitere Informationen . Externe Inhalte aktivieren Während zuletzt von allen Seiten auf das Team eingeprügelt wurde und sich womöglich mancher Spieler selber schämt und Vorwürfe macht, richtet der neue Trainer die Aufmerksamkeit auf Dinge, die gute Gefühle entstehen lassen. Er habe versucht, „die Jungs mit positiven Dingen zu überraschen“, erzählte der Kroate. „Diese Mannschaft hat so viele Qualitäten, wir wollten unsere Spieler stärken.“Nach der schwachen Leistung gegen Stuttgart am vergangenen Wochenende riskierte er mit seiner Schönfärberei seine Glaubwürdigkeit, nun zahlte sich dieses Vorgehen aus. Die Krise der vergangenen Wochen habe ihn „schon ein bisschen bedrückt in den letzten Wochen, das ist eine Phase, die ich so noch nicht erlebt habe“, erzählte Brandt. Diese Last war seinem Spiel zuletzt anzusehen. In der zweiten Spielhälfte von Lissabon fand nicht nur der sensible Offensivspieler die Leichtigkeit, die er für gute Leistungen braucht.„Wir haben auch dieses Jahr schon Spiele gewonnen, wo ich nicht mit so einem guten Gefühl vom Platz gegangen bin“, sagte Groß. Denn der Sieg von Lissabon ist nicht erzwungen worden, vielmehr war diese zweite Halbzeit umweht von einem Gefühl der Befreiung auf unterschiedlichen Ebenen: Er stabilisiert den Glauben an die Arbeit mit Kovac, zeigt, dass die Mannschaft Wege aus der Krise finden kann und zwar nicht durch Kampf und Hingabe, sondern spielerisch.„Am meisten hoffe ich, dass Selbstbewusstsein, Leichtigkeit und Selbstverständnis wiederkommen, bei vielen Spielern, bei mir natürlich auch“, sagte Brandt. „Das schaffst du zwar nicht in einem Spiel, aber es ist ein Schritt dahin zurück.“ Am Samstag (15.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Bundesliga und bei Sky) steht eine Partie in Bochum an, wo die erstaunliche Verwandlung des BVB wahrscheinlich mit gemischten Gefühlen verfolgt wurde.
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