
Heja, BVB!
Ein Fußballspiel, das selbst den Teufel verschreckt
20.02.2025, 05:52 Uhr
Es gibt sie noch, die gute Nachrichten für Borussia Dortmund. Der verzwergte Fußball-Gigant aus dem Ruhrgebiet gehört nach diesem Mittwochabend offiziell zu den 16 besten Mannschaften Europas. Warum das so ist, konnte der BVB aber nicht beantworten.
Sporting Lissabon hatte sich schon vor dem Spiel als ambitionierter Teilnehmer abgemeldet. Für das zweite Duell mit Borussia Dortmund erfüllten die Portugiesen lediglich die Mindestanforderung der UEFA: Antreten. Vielmehr muss man zur Leistung von Sporting an diesem Mittwochabend nicht wissen. Die 0:3-Hypothek aus dem Playoff-Hinspiel hatte Trainer Rui Borges als dermaßen unerreichbar eingestuft, dass er mit seinem Superstürmer Viktor Gyökeres und Trincao zwei Spitzenspieler direkt zuhause ließ. Die heimischen Journalisten waren einigermaßen fassungslos. Freie Bahn also für den BVB. Und der kam mit diesem geschenkten Glück augenscheinlich gar nicht klar. Per quälend langweiligem Dienst nach Vorschrift zog er ins Achtelfinale der Champions League ein.
0:0 ging das Spiel aus. Die Dortmunder hatten einen Elfmeter verschossen. Serhou Guirassy (59.) scheiterte. Sie schossen einen Ball an den Pfosten. Giovanni Reyna war der Verantwortliche (69.). Und sie erzielten ein Tor. Der Kapitän Emre Can hatte den Kopf hingehalten (73.). Dem Treffer aber wurde die Anerkennung verweigert, weil Can im Abseits stand. Immerhin lief mal die Tormusik. Das war ein schöner Moment, er wurde schnell zerstört.
Dortmund: Kobel – Ryerson, Can, Schlotterbeck, Svensson – Sabitzer (89. Anton), Groß – Adeyemi (89. Bensebaini), Brandt (69. Duranville), Gittens (46. Beier) – Guirassy (69. Reyna); Trainer: Kovac
Lissabon: Rui Silva – Ricardo Esgaio, Diomande, Goncalo Inacio (56. Afonso Moreira) – Quaresma, Simoes (40. Debast), Hjulmand (46. Brito), Matheus Reis – Quenda (84. Anjos), Harder, Gabriel Teixeira (56. Maxi Araujo); Trainer: Borges
Schiedsrichter: Davide Massa (Italien)
Tore: Fehlanzeige
Bes. Vorkommnis: Rui Silva (Lissabon) hält Foulelfmeter von Guirassy (59.)
Gelbe Karten: Sabitzer – /
Zuschauer: 80.300
Weitere Akte der Zerstörung gab es nicht. Aber was hätte noch kaputtgehen sollen? Der Scherbenhaufen BVB war in den vergangenen Wochen größer und größer geworden. Eine neue, gigantische Ladung war am Samstag aus Bochum angekarrt worden. Dort waren die Borussen vom Tabellenletzten so sehr blamiert worden, dass ihnen historische Horrorszenarien für diesen Champions-League-Abend aufgezeichnet worden waren. Nur noch ein weiteres Debakel waren die Dortmunder vom Höllenschlund entfernt. Aus dem guckte der Teufel an diesem Mittwoch im mit 80.300 Zuschauern nur fast ausverkauftem Westfalenstadion kurz zu und verschwand unverrichteter Dinge. Zu erschrocken war er von dem, was er sah.
Emre Can sagt ein ganz bitteren Satz
“Wir haben nicht mehr gemacht als nötig”, sagte Kapitän Can. Das ist ein Satz, der ihm und der Mannschaft noch um die Ohren fliegen könnte. Und den sein Trainer so nicht stehen lassen wollte. Er sagte, der BVB habe auf Sieg gespielt. Besser wäre das, schließlich stand der BVB doch irgendwie in der Pflicht, den Horrornachmittag aus dem Ruhrstadion vergessen zu machen. Das Spiel in Bochum sei “sehr kritisch miteinander besprochen” worden, sagte Sportdirektor Sebastian Kehl und gab ein Versprechen: “Das wird in der Form auch nicht mehr passieren, das hat der Trainer auch gesagt.” Das Spiel gegen Lissabon war in dieser Hinsicht der kleinstmögliche Schritt nach vorn. Beim VfL im Krisenwettbewerb Bundesliga fehlte den Schwarzgelben alles: Vertrauen, Mut, Kreativität, Zweikampfstärke, Aufmerksamkeit. Immerhin jene kehrte nun zurück. In keiner Sekunde kam die Borussia in die Verlegenheit, hier ein Tor zu kassieren. Aber von Mut, Selbstvertrauen und Spielfreude war nichts zu sehen. Eine Kompensation mit Verve für das Leiden von Bochum wurde den abermals treuen Fans nicht angeboten.
Dabei begann der Abend mit einem tüchtigen Knall. Die Fans aus Lissabon hatten Raketen und Pyros mitgebracht. Die erste Rakete knallte so laut, dass sich ein paar Spieler beim Erklingen der Königsklassen-Hymne erschrocken nach hinten drehten und schauten, was da los war. Ein Wachmacher war das Spektakel nicht. Wären die ersten 45 Minuten verfilmt worden, sie wären in aussichtsreiche Konkurrenz zu “Plan 9 aus dem Weltall” getreten. Das “Meisterwerk” von Regisseur Ed Woods aus dem Jahr 1957 ist ein Science-Fiction-Film über Außerirdische, die Tote wiederbeleben, 1980 wurde er bei den Golden Turkey Awards zum “schlechtesten Film aller Zeiten” gekürt. Über dem Westfalenstadion wurden an diesem Abend auch keine Außerirdischen gesichtet. Auf dem Platz hat sich mit Jude Bellingham der letzte in Reihen des BVBs vor langer Zeit verabschiedet.
Und so war es, wie es zu oft ist: Das Spiel hatte keinen Rhythmus, kein Tempo, keine großen Momente. Nicht mal richtige Zweikämpfe. Es ging einfach alles ohne Puls vor sich hin. Die Fans sangen. Sie sangen alles, worauf sie Lust hatten. Am Verlauf des Spiels orientierten sie sich nicht. Sie wären auch desorientiert gewesen. In vorderster Linie schimpfte Stürmer Guirassy schon nach 15 Minuten laut und gestenreich. Er hatte andere Ideen, wie seine Mitspieler ihn mal in Szene setzen sollten. Adressaten waren der oft fahrige Karim Adeyemi und der völlig neben sich stehende Jamie Gittens.
Was ist nur Gittens los?
Der bemühte Marcel Sabitzer feuerte ein paar Mal aus der Distanz los, einmal rutschte Pascal Groß ganz knapp an einer Hereingabe von Adeyemi vorbei. Das war schon alles. Manchmal vergaßen die Fußballer auf dem Platz zu laufen, weil es irgendwie keinen Sinn ergab. Manchmal spielten sie den Ball irgendwo hin, weil sie dachten, dort könnte ein Mitspieler sein. Vielleicht dachten sie auch, dass es gut wäre, wenn jemand genau dort wäre. Dann war Pause. Ein paar Pfiffe gab es, ein bisschen Applaus. Und belanglose Popmusik zur Erheiterung.
Die Optimisten im Stadion erinnerten sich an das Hinspiel, als Trainer Kovac nach bedenklichen 45 Minuten den erfolgreichen Notfallsanitäter in sich entdeckte und seine Mannschaft auf erstaunliche Weise wiederbelebte. Sollte es an diesem Mittwochabend das Déjà-vu geben? Die Dortmunder kamen auf jeden Fall aggressiver aus der Kabine und ohne Gittens. Der bereits zum nächsten 100-Millionen-Euro-Mann hochgehypte junge Engländer befindet sich seit Wochen in einer tiefen Schaffenskrise. Die Leichtigkeit ist weg, jede Entscheidung am Ball wirkt irgendwie wie die falsche. Die Fans im Stadion verlieren langsam die Geduld. Zur Pause wurde er erlöst.
Dortmund presste nun früher und erfolgreicher. Dortmund erspielte sich ein paar Chancen. Das war besser als zuvor. Und trotzdem war immer noch viel zu viel pomadig und ideenlos. Sporting rüstete dagegen weiter ab. Kapitän Morten Hjulmand blieb in der Kabine, er hatte in der ersten Halbzeit auch irgendetwas abbekommen. Immer mehr Spieler standen nun auf dem Feld, die gerade mal einen oder unwesentlich mehr Einsätze in dieser Saison abgegriffen hatten. Das hatte was von einem Casting für die kommenden Liga-Aufgaben und in keiner Sekunde etwas von einem ernsthaften Versuch, die Dinge hier zu den eigenen Gunsten zu verändern.
“Natürlich ist ein 0:0 ein gutes Ergebnis”
Um so erschreckender, dass der BVB nur selten Mittel fand, Lissabon in Verlegenheit zu bringen. Offensiv ist beim BVB auch unter Kovac weiter keine Idee zu erkennen, die einen Gegner wirklich herausfordert. Tiefenläufe und Tempo sind ein dauerhafter Versuch, der mit Spielern in dieser Verfassung aber nicht aufgeht. “Wir haben das Spiel über 90 Minuten kontrolliert. Wir haben nichts zugelassen”, befand Kovac, um den es am Mittwoch noch aufsehenerregende Gerüchte gegeben hatte. So schrieb die “Sport Bild”, dass das Szenario der Trennung im Sommer bereits vorab diskutiert worden sei, für angeblich 3,5 Millionen Euro sei das möglich. “In der ersten Halbzeit haben wir selbst auch wenig Möglichkeiten kreiert, aber in der zweiten Halbzeit gab es dann mit dem Pfostentreffer und dem Elfmeter doch ein paar Chancen auf den Sieg. Wir hätten sicherlich gewinnen müssen, aber wir sind weiter und das zählt.”
Wie weit es noch geht? Wer mag über diesen BVB eine Prognose abgeben? Aston Villa oder OSC Lille sind die möglichen Gegner, am Freitag wissen die Dortmunder mehr. Die Fans pfeifen auf alles und nicht mal gegen die eigene Mannschaft. Sie berauschen sich an sich selbst und (noch) an den ihnen verbleibenden Königsklassen-Abenden und schrien mit allem, was sie haben:
Erste Runde Krankenschein, dann die Omma tot,
Überstunden nehmen wir zur Not!
Dann kommt die Kündigung – scheißegal!
Borussia Dortmund international!
Europapokal, Europapokal, Europapokal, Europapokal!
Europapokal, Europapokal, Europapokal, Europapokal!
Diese seltsame Ambitionslosigkeit an den eigenen Anspruch teilt der BVB in diesen Tagen mit dem FC Bayern. Auch der betonte nach dem CL-Zitterspiel gegen Celtic Glasgow, dass es derzeit nur um Ergebnisse geht. Die Giganten verzwergen sich. Das ist für die Leistungsfähigkeit der Bundesliga keine gute Nachricht. Wo soll das nur weitergehen? “Natürlich ist ein 0:0 ein gutes Ergebnis”, befand Can. Auch dieser Satz ist überraschend. Aber er sagte auch: “Aber wir müssen diese Mentalität wieder an den Tag legen, so ein Spiel gewinnen zu wollen.”