
Mit Überraschungen ist es meist so eine Sache. Bei solch einer Serie wie der folgenden kann jedoch selbst ein alter Fahrensmann aus den Latschen kippen und einem der Unterkiefer auf Höhe des Kehlkopfes herunterklappen. Nach dem 3:1 der Frankfurter jüngst gegen Kiel war die Rede davon, dass Holstein gegen Eintracht 95 Jahre auf einen Sieg wartet. In Worten: fünfundneunzig! Echt jetzt? Schaut man jedoch genauer hin, liegen zwischen einem 4:2 der Störche im Viertelfinale um die Deutsche Meisterschaft 1930 und dem Spiel vom Sonntag genau vier weitere Pflichtspiele. Na gut, nennen wir es Serie.
Eine seiner Serien fortgesetzt hätte dagegen gern der 1. FC Union. Die zu Hause gegen Mönchengladbach. Nie hatten die Eisernen, beginnend mit dem Elfmeterkrimi im Pokalhalbfinale im Februar 2001, gegen die Fohlen im Stadion An der Alten Försterei verloren. In der Bundesliga hatte es bis zum jetzigen 1:2 so ausgesehen: 2:0, 1:1, 2:1, 2:1, 3:1 – mit dem die Köpenicker in der Vorsaison sogar die Horrorserie von wettbewerbsübergreifend 16 Spielen ohne Sieg beendeten.
1. FC Union: Selbst Pleiten haben etwas Gutes
In ihrer noch immer jungen Bundesligahistorie haben sich die Männer um ihren Kapitän Christopher Trimmel zu einigen Serien aufgemacht. Manchmal dachten die Anhänger, sie könnten ihre Uhr danach stellen. Gegen den VfB Stuttgart hat es, angefangen mit den erfolgreichen Play-offs zur Bundesliga 2019, zunächst immer Zählbares gegeben. Drei Siege und drei Remis verbuchten die Köpenicker in den ersten sechs Spielen, nachdem die Schwaben nach oben zurückgekehrt waren. Seitdem, selbst trotz einer 2:0-Führung zuletzt im Ländle – Pustekuchen.

In Dortmund herrscht dagegen bisher immer Frust beim 1. FC Union. Vergangene Saison litten Josip Juranovic und Rani Khedira beim 2:4 beim BVB.Team 2/imago
Noch glatter lief es gegen den 1. FC Köln. Schon im Aufstiegsjahr begann in der 2. Bundesliga ein nahezu einmaliger Lauf (1:1, 2:0), der sich im Oberhaus mit sieben Siegen und zwei Unentschieden fortsetzte. Bis im letzten Auswärtsspiel der vorigen Spielzeit in der Domstadt nach 2:0-Führung das 2:3 folgte. Etwas Gutes hatte die erste Niederlage in der Bundesliga gegen den Effzeh dennoch. Ohne sie hätte es nicht die dramatische Rettung mit dem letzten Torschuss der Saison von Janik Haberer gegeben und die Union-Familie wäre um ein legendäres Erlebnis ärmer. Ab und an gehört Drama, selbst wenn es auf Kosten einer Serie geht, ganz einfach dazu.
Ungarn für die DDR das, was der BVB für Union ist
Andersrum geht es natürlich auch. Es gibt Gegner, denen man sich zumindest ebenbürtig fühlt, es mit einem Sieg trotzdem nicht klappen will. Erst recht nicht in einem tatsächlich wichtigen Spiel. Für das Nationalteam der DDR war Ungarn einst ein solcher Brocken. Obwohl die goldene Elf um Ferenc Puskas längst Geschichte war, gab es in den ersten acht Begegnungen gegen die Männer aus Budapest sechs Niederlagen und nur zwei Unentschieden. Darunter waren sieben Spiele, in denen es um die Qualifikation für eine WM oder EM ging. Erst im neunten Versuch, als mit Jimmy Hoge der eiserne Tausendsassa den Ungarn zusetzte und der Leipziger Henning Frenzel das goldene 1:0 erzielte, war im Oktober 1967 der Bann gebrochen.
Dem DFB-Team ging es mit Italien ähnlich. Da ging das legendäre WM-Halbfinale 1970 in Mexiko verloren (3:4) und das WM-Endspiel 1982 in Madrid (1:3), da gab es im WM-Halbfinale 2006 in Dortmund ein 0:2 und im EM-Halbfinale 2012 in Warschau ein 1:2. Kein Titel bei der Heim-WM, erst recht keiner in Polen. Erst bei der EM 2016 gelang gegen die Azzurri in einem K.o.-Spiel erstmals das Weiterkommen, und da erst nach 18 (!) Elfmetern.
1. FC Union muss nicht 8:0 beim BVB gewinnen
Für die Eisernen bedeutete das vor allem gegen einen Gegner aus alter Zeit grenzenloses Leid. Nachdem die Rot-Weißen in der DDR-Oberliga in der Spielzeit 1976/77 dem BFC Dynamo mit zwei 1:0-Siegen peinliche Schlappen beibrachten, hielten sich die Hohenschönhausener danach auf schier brutale Weise schadlos. In 18 Spielen in der obersten Spielklasse gelangen dem 1. FC Union bei 16 Niederlagen ganze zwei Unentschieden. Das Torekonto uferte mit 9:58 geradezu aus. Erst im August 2005 folgte – das 8:0 prangte außerhalb der Spiele jahrelang von der kultigen Anzeigetafel – die epische Rache.
Aktuell geht es den Männern von Trainer Steffen Baumgart mit Borussia Dortmund, dem Gegner am Wochenende, ähnlich. Was selbst bei den Bayern einst mit einem 1:1 glückte, ein Teilerfolg, ist in Westfalen ein blinder Fleck: fünf Spiele, null Punkte. Es wäre an der Zeit, einmal ganz andere Serientäter zu sein. Es muss ja nicht gleich ein 8:0 sein. ■