
Sind drei Wochen eine lange oder eher kurze Zeit? Würde man eine Urlauberin am Strand fragen, würde sie wohl erzählen, wie schnell die Tage verflogen seien. Fragt man einen Bundesligatrainer, der so lange nicht gewonnen hat, fällt die Antwort anders aus. „Wir vermissen das“, gestand der Frankfurter Trainer Dino Toppmöller. Seine Mannschaft wolle das Gefühl, gerade gewonnen zu haben, endlich wieder in der Kabine spüren. „Wir wissen auch, dass es ein paar Tage her ist.“
Vor dem Heimspiel gegen Kiel am Sonntag (17.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Fußball-Bundesliga und bei DAZN) liegt die Eintracht in der Bundesliga auf dem dritten Platz und damit immer noch unter den ersten vier. Von diesen Rängen heißt es ja oft, sie berechtigten dazu, an die Fleischtöpfe zu kommen. Weil jedes Spiel in der Champions League so viel wert ist wie eine halbe Saison im Wettbewerb darunter. Wenn sich Toppmöller gerade am Buffet umschaut, haben seine Trainerkollegen Vincent Kompany (FC Bayern) und Xabi Alonso (Leverkusen) schon reichlich geschlemmt und kämpfen nun darum, wer die Sahnetorte anschneidet.
Toppmöller steht ein paar Schritte entfernt. Ein paar Klopse liegen noch im Edelstahlbecken, auch die beiden Flämmchen darunter brennen noch. Aber er spürt, dass eine kurze Unachtsamkeit – ein Blick zum Dessert, ein Ausflug zum Salat – nicht mehr drin ist, sonst überholen ihn die Kollegen Sebastian Hoeneß (Stuttgart) und Marco Rose (Leipzig). Lange schlürften sie im Winter an der ungesalzenen Tagessuppe, verloren mal, spielten dann unentschieden.
Wie am Wochenende: Leipzig spielte 0:0 in Augsburg, Stuttgart verlor sein Heimspiel gegen Wolfsburg. Und dennoch schienen beide in den vergangenen Wochen bereit fürs große Fressen. Leipzig liegt nur noch zwei Punkte hinter der Eintracht, der VfB hat vier Punkte Rückstand. Beide Teams kämpfen zwar noch um den DFB-Pokal – sie müssen aber im März nicht mehr durch halb Europa jetten, weil sie sich einigermaßen unmotiviert aus der Champions League verabschiedeten. Freiburg, das sich heimlich auf Platz fünf vorgedrängelt hat und nur noch einen Sieg von der Eintracht entfernt ist, spielt in dieser Saison erst gar nicht in Europa.
Dreimal nur unentschieden
Die Eintracht nimmt europäische Aufgaben bekanntlich ernst. Ihr letztes Spiel gewann sie an einem eiskalten Januarabend gegen Ferencváros Budapest. Das ist – man denke an Toppmöller und den Strand – drei Wochen her. Seitdem gab sie sich gegen Hoffenheim, Wolfsburg und Mönchengladbach zwar nicht geschlagen, als sie zurücklag. Aber sie spielte eben auch dreimal nur unentschieden. In der Hinrunde hatte sie diese Gegner einen nach dem anderen geschlagen. Wie auf dem Bolzplatz dribbelten sich Omar Marmoush und Hugo Ekitiké durch die Abwehrreihen der Kontrahenten. Das ist bekanntlich Vergangenheit.
Ekitiké tänzelt zwar weiter übers Feld, aber seit sich sein ägyptischer Kompagnon der Therapiegruppe Manchester City angeschlossen hat, liegt der Fokus auf dem Franzosen. Toppmöller holte kürzlich den Rechenschieber heraus, um das Problem zu erläutern. Einst, als er noch zwei Stürmer von Format hatte, hätten sich drei, vier Spieler des Gegners um sie kümmern müssen. Aber weil sie alle zum einen, der gerade den Ball führte, rannten, hatte der andere plötzlich Platz. So war das in der Frühphase der Saison – und so war es in den vergangenen Wochen nicht mehr. Plötzlich hatte der Eintracht-Trainer nur noch ein Kügelchen, auf das sich die gleichen drei, vier Kügelchen des Gegners konzentrierten. Ekitiké hat keinen Platz mehr.
Sechs Spielminuten für 25 Millionen Euro Ablöse
Nun ist auch Sportvorstand Markus Krösche mit den Regeln der Mathematik vertraut und hat seinem Trainer gleich zwei Stürmer zur Seite gestellt. Der eine, Michy Batshuayi, war bei seinem Debüt in Gladbach harmlos. Toppmöller nahm ihn nach einer Stunde vom Feld. Für den anderen, Elye Wahi, legte Krösche so viel Geld auf den Tisch wie selten zuvor. Das Ergebnis: Nach 25 Millionen Euro Ablöse und 22 Tagen in Frankfurt steht Wahi bei sechs Spielminuten. Das reicht erstens nicht, um Toppmöllers Knobelei zu lösen. Und zweitens schon gar nicht, um am Fleischbuffet die Kelle in der Hand zu behalten.
Wahi wird gegen Kiel länger spielen als gegen Gladbach. Als Toppmöller vor zwei Wochen erklärte, der junge Stürmer brauche ein wenig Spielpraxis und ein paar Trainingseinheiten, erinnerte das an seine Ausführungen vor einem Jahr. Nur, dass er damals über Ekitiké sprach. Als der im Frühjahr sein erstes Tor für die Frankfurter erzielte, waren die Schwimmbäder schon geöffnet. So viel Zeit hat Wahi nicht – zumindest, wenn die Eintracht nicht mit einer Tupperdose voller Beilagen auf dem sechsten Tabellenplatz landen will.
„Schluss jetzt mit den Unentschieden“
In dieser Woche klang es schon besser. Zweimal habe Wahi in einem internen Test getroffen, erzählte sein Trainer. „Er fühlt sich in der Gruppe wohl, ist schon gut integriert“, sagte Toppmöller. Und: „Wir können uns auf einen richtig guten Spieler freuen.“ Ob die Freude schon am Sonntag 90 Minuten oder ein wenig kürzer währen wird, ließ er offen.
Das Spiel gegen Kiel ist also von besonderer Bedeutung. Einerseits, weil Wahi in seinem ersten Heimspiel zeigen soll, wieso die Eintracht viel Geld für ihn ausgegeben hat. Und andererseits, weil die Frankfurter in den beiden kommenden Wochen gegen die besten Teams des Landes spielen, München und Leverkusen. Zwei Spiele, in denen es überraschend wäre, wenn sie in ihrer jetzigen Form nicht verlören. Das heißt: Um Ende Februar, zehn Spieltage vor Schluss, noch auf einem Champions-League-Platz zu liegen, müssen Wahi und Co. gegen den 17. gewinnen.
Ellyes Skhiri, der in den vergangenen Wochen vor der Frankfurter Abwehr aufräumte, schmerzt es an den Rippen. Es ist gut möglich, dass er nicht spielen wird. Genauso wenig wie Robin Koch – der Abwehrchef fällt weiter aus. Gegen eine Mannschaft, deren Offensive wesentlich besser ist als ihre Defensive, ist also weiter der Brasilianer Tuta als zentraler Verteidiger vorgesehen. Damit die Mannschaft und ihr Trainer wieder jubeln dürfen. Toppmöller hat das Besteck fest im Griff: „Schluss jetzt mit den Unentschieden“, sagte er am Freitag.
Eintracht-Gegner Holstein Kiel: Wie die Bayern
Den Grundstein für ihren Verein legten die Kieler im Zug – auf einer Fahrt im Oktober 1900 nach Lübeck. Die neun jungen Männer trafen sich damals am gerade eröffneten Bahnhof entgegen dem Verbot ihres Männerturnvereins. Auf der Zugfahrt einen Fußballklub zu gründen ist wohl einmalig im deutschen Sport. Heute ist der rund 10.000 Mitglieder zählende Verein Holstein Kiel, deutscher Meister von 1912, der erste Fußball-Bundesliga-Klub aus Schleswig-Holstein. Von 2007 an pendelte der Erstligaaufsteiger zunächst zwischen der Viertklassigkeit und der dritten Liga; in der Saison 2016/17 ging es dann nach oben in die zweite Spielklasse. Nach Frankfurt ins Waldstadion führte der weite Weg die Kieler bisher nur ein Mal: in der Gruppenphase der Oberligaendrunde unterlagen sie der Eintracht im Mai 1952/53 1:4. Lang ist’s her.
Die Gegenwart verleitet die „Störche“ aus dem Norden – ihr Spitzname entstammt der ersten Vereinskneipe „Storchennest“, in der sich früher die Spieler vor dem Training umzogen – sportlich nicht zu Höhenflügen. Als Tabellenvorletzter und zweitschlechteste Auswärtsmannschaft vor dem VfL Bochum stecken sie tief im Abstiegskampf. In der Fremde sind sie in ihren zehn Spielen ohne Sieg geblieben. Allerdings sind die Kieler, deren Markenzeichen die Bodenständigkeit und Unaufgeregtheit ist, zusammen mit Spitzenreiter Bayern München die einzige Mannschaft, die ihre Auswärtspartien nie torlos beendete; die bisher 17 erzielten Treffer entsprechen der Torausbeute von RB Leipzig. Als Kiels erfolgreichste Torschützen stechen Shuto Machino (acht Treffer in Liga und DFB-Pokal) und Phil Harres (sieben) heraus. Wie Harres traf zuletzt Steven Skrzybski jeweils in den drei zurückliegenden Ligabegegnungen, in Frankfurt fehlt der 32-Jährige und viermalige Torschütze nun aber aus Verletzungsgründen. „Wenn Steven fit ist, hat er einen großen Mehrwert für uns“, sagt Sportchef Carsten Wehlmann über den „sehr ärgerlichen Ausfall“ des Profis.
Auf insgesamt 33 Tore kommen die Kieler – deren Gesamtmarktwert laut transfermarkt.de 40,05 Millionen Euro beträgt (bei der Eintracht sind es 288,05 Millionen Euro) – bislang in 21 Partien, das sind mehr als der Rangsechste Freiburg (28). Kiels große Schwäche ist die Verteidigung: 54 Gegentreffer bedeuten Ligahöchstwert. Nur Greuther Fürth musste in diesem Jahrtausend mit 56 vor drei Jahren mehr hinnehmen. Was die Eintracht anspornen muss: In jedem Spiel in der Fremde beklagten die Kieler mindestens zwei Gegentore. (die.)